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Endlich scheint der große Durchbruch für die Schauspielerin Nina Wu gekommen, als sie mit einem reißerischen Spionagedrama einen ersten großen Erfolg feiern kann.

Nina Wu (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Martyrium einer Schauspielerin

Früher schlug sie sich als Webcam-Girl und bei kleinen Theaterproduktionen für Kinder durch, doch dann beschloss Nina Wu (Wu Ke-xi) eines Tages, das Glück in Taiwans Hauptstadt Taipeh zu versuchen und dort den Durchbruch als Schauspielerin zu schaffen. Nun hat sie endlich nach Jahren, die von kleineren Rollen in Werbeclips und Kurzfilmen sowie einem Satz in Luc Bessons „Lucy“ geprägt waren, die Chance auf eine richtige Hauptrolle in einem Film, der sich erfolgversprechend anhört.

Allerdings verlangt ihr das Drehbuch schon einiges ab, wie ihr Agent (Lee Lee-zen) ihr auseinandersetzt. Nacktheit und explizite Sexszenen sollen aus dem Spielfilm Spione der Liebe einen reißerischen Agententhriller machen, der vor allem auf Schauwerte setzt. Doch Nina, so ihr Agent, müsse sich halt überwinden nach all der Zeit, wenn sie es wirklich zu etwas bringen wolle. So lässt sie sich darauf ein — und zahlt einen hohen Preis dafür.

Denn neben dem Skript sind es vor allem die Launen und die Unbeherrschtheit des Regisseurs, die der zunehmend verunsicherten Nina zusetzen. Im Namen der Kunst gibt es Ohrfeigen und Beleidigungen. Selbst als der Film nachher bei Kritik und Publikum gut ankommt, hat das Erlebte bei Nina Spuren hinterlassen: Immer wieder sieht sie sich den imaginierten, aber erschreckend realen Attacken einer Fremden ausgesetzt. Als ihre Mutter einen Herzinfarkt erleidet und die Plastiktüten-Fabrikation ihres Vaters pleite geht, droht ihr endgültig die Kontrolle über ihr Leben zu entgleiten.

Eigentlich ist der aus Myanmar stammende und im Alter von 16 Jahren nach Taiwan eingewanderte Regisseur Midi Z bislang eher für einen schmucklosen Stil und harschen Realismus bekannt gewesen, sein neues Werk Nina Wu aber zeichnet sich durch eine extreme Stilisierung aus, bei der einzelnen Szenen direkt aus dem filmischen Werk von Gaspar Noé oder Brian De Palma stammen könnten. Wie ein Leitmotiv durchzieht die Farbe Rot den gesamten Film und setzt immer wieder Farbakzente in einer Umgebung, in der sonst eher eine gedeckte bis kalte Farbpalette den Grundton bestimmt. 

Bemerkenswert ist der Film aber nicht nur durch seine visuelle Gestaltung, die ihn in der Nähe eines Neo-Noir-Thriller verortet, sondern auch durch seine Hauptdarstellerin Wu Ke-xi, die zugleich das Drehbuch schrieb, das auf eigenen Erfahrungen innerhalb der Filmbranche basiert. Weil sie schon in einigen Werken von Midi Z mitwirkte, vertraute sie ihm das Drehbuch an — das Ergebnis war im letzten Jahr beim Filmfestival in Cannes in der Reihe Un Certain Regard zu sehen. Und kommt nun — ebenso erstaunlich wie erfreulich — in die deutschen Kinos. Es ist einer der ersten nicht aus den USA stammenden Filme überhaupt, die eine durch die #MeToo-Bewegung ins Rollen gebrachte Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in der Filmszene auf die Leinwand bringen. Während man in Deutschland bislang auf eine (nicht nur filmische) Auseinandersetzung immer noch wartet, weil die Rufe der Betroffenen immer noch nicht genug gehört werden.

Ebenfalls leitmotivisch fällt immer wieder ein Satz, der zwar aus dem Drehbuch der Agentenschmonzette stammt, der aber die psychische Verfassung Nina Wus auf den Punkt bringt: „Sie nehmen mir nicht nur meinen Körper. Sie nehmen mir auch meine Seele.“ Genau das ist es, was die Täter anrichten mit den Opfern: Sie zerstören nicht nur Träume und Karrieren, sondern letzten Endes auch das gesamte Leben.  Und genau deshalb ist es wichtig, dass sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch immer und immer wieder thematisiert werden und die Täter verfolgt und bestraft.

Nina Wu (2019)

Nach acht Jahren in Klein- und Kleinstrollen steht die ambitionierte Schauspielerin Nina Wu endlich vor dem großen Durchbruch, als sie die Hauptrollen für einen Spionage-Thriller bekommt, der in den 1960er Jahren spielt. Die Rolle ist eine echte Herausforderung, da sie viel Nacktheit und explizite Sexszenen beinhaltet und der Regisseur sie hart angeht. Doch die Ereignisse können sich sehen lassen und die Presse ist begeistert. Dennoch steht Nina kurz vor einem psychischen Zusammenbruch — und der hat auch mit ihrer Familie zu tun: Ihr Vater hat einen Bankrott hingelegt und ihre Mutter einen Herzinfarkt erlitten. In dieser schweren Zeit fantasiert sich Nina immer wieder in glücklichere Zeiten zurück — doch zugleich tauchen dabei auch Erinnerungssplitter auf, die ganz und gar unerfreulich sind.
 

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