Night on Earth (1991)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Cross-kulturelle Begegnungen kurioser Käuze

Beim New York Film Festival 1991 uraufgeführt ist Night on Earth von Jim Jarmusch längst zu einem klassischen Kracher der Kinogeschichte avanciert, dessen krude Komik auch nach mehrfacher Sichtung ihre schlichte, doch signifikante und satirische Weisheit nicht verliert. Nun erscheint der mit einem grandiosen Ensemble sorgfältig und treffsicher an Originalschauplätzen inszenierte Episodenfilm erstmals bei Arthaus auf Blu-ray und entführt sein Publikum kurzweilig mit dem Taxi in den urbanen Raum fünf nächtlicher Großstädte, in denen sich seltsame Begegnungen der außergewöhnlichen Art ereignen.

Es ist Nacht auf dem Planeten Erde, dessen Bewohner zu dieser Zeit nur noch spärlich unterwegs sind. Die Fahrerin und Fahrer der Taxis, die jetzt in Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki im Dienst sind, sind so unterschiedlich wie ihre Fahrgäste, mit denen sie nun für die kleine Weile während des Transports von hier nach dort zusammentreffen. Dabei sind es sowohl die späte Stunde und die schrägen Charaktere als auch die spezifische Stimmung der jeweiligen Metropole, die aus diesen zufälligen Begegnungen witzige bis skurrile kleine magische Momente werden lassen, dessen Einzigartigkeit einen verschmitzten Charme verströmt.

In Los Angeles chauffiert die burschikose Taxifahrerin Corky (Winona Ryder), die von einer Ausbildung als Mechanikerin träumt, ausgerechnet die Casting-Agentin Victoria (Gena Rowlands) vom Flughafen nach Hause, die in der jungen Frau ein schlummerndes Filmtalent zu entdecken glaubt. Der unbeholfene Helmut Grokenberger (Armin Mueller-Stahl) rattert mit seinem Taxi richtungslos durch New York, als ihn der forsche YoYo (Giancarlo Esposito) chartert, der unterwegs seine Schwägerin Angela (Rosie Perez) aufgabelt, die konspirativ durch die Straßen streift. In Paris hat der genervte Taxifahrer (Isaach De Bankolé) gerade eine unerquickliche Runde ohne Bezahlung hinter sich, als eine blinde, aber bestens orientierte Frau in seinen Wagen einsteigt und ihm eine prägnante Lektion in Sachen Menschenkenntnis erteilt. Der rasende Römer (Roberto Benigni), der sein Taxi gewandt und wortreich durch die engen Gassen der „Ewigen Stadt“ manövriert, hat offensichtlich nur auf eine Gelegenheit zur Beichte gelauert, die er dem älteren Priester (Paolo Bonacelli) aufdrängt, der das Pech hat, von ihm gefahren zu werden. In Helsinki schließlich liest der melancholische Mika (Matti Pellonpää) drei sichtlich besoffene Klienten aus dem Schnee auf, deren Geschichte über das Unglück ihres Freundes letztlich in unbarmherzigen Ärger umschlägt, als der Taxifahrer ihnen von seinem eigenen familiären Leid erzählt.

Die Wesenheiten des Menschlichen kräftig aufs Korn nehmend ist Jim Jarmusch mit Night on Earth ein humoriges Schelmenstück gelungen, das mit sensiblem bis bissigem Gespür für cross-kulturelle Zusammenkünfte kuriose Käuze an verschiedenen Orten einer Nacht versammelt, deren Erlebnisse in prägnanten Bildern und mit der schwermütigen Musik von Tom Waits so unterhaltsam wie tiefsinnig daherkommen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Ob es um die (vermeintlich) gleichen Mützen von Helmut und YoYo, die Meinung Corkys und Victorias über Männer oder die trunkene Sympathie der Helsinkier Fahrgäste mit ihrem Fahrer geht – hier werden unverbindliche Verbindungen geschaffen, die für einen zauberhaften Augenblick lang die alltäglichen Klüfte des Daseins zu überbrücken fähig sind und auf diese Weise ein wohliges Verständnis heraufbeschwören, das die zarte Ironie der Einsamkeit der menschlichen Existenz gleichermaßen feiert und lindert. Eine großartige Komödie, deren visuelle und verbale Gags einen kostbaren Fundus an Filmkunst darstellen, wie er selten anzutreffen ist.
 

Night on Earth (1991)

Beim New York Film Festival 1991 uraufgeführt ist „Night on Earth“ von Jim Jarmusch längst zu einem klassischen Kracher der Kinogeschichte avanciert, dessen krude Komik auch nach mehrfacher Sichtung ihre schlichte, doch signifikante und satirische Weisheit nicht verliert.

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