Night of Silence - Lal Gece

Eine Filmkritik von Lida Bach

Die Nacht vor der Hochzeit

„Weine nicht“, sagt die Mutter als der Augenblick des Abschieds gekommen ist, nachdem sie die Tochter vielleicht nie wieder sehen wird. Die halb besänftigend, halb ungeduldig gesprochenen Worte der alten Frau lindern den Kummer des Mädchens (Dilan Aksüt) nicht, doch reicher Schmuck und ein perlenbesticktes Kleid machen sie selbst in ihrem Schmerz noch schön. Wenn sie weint, so kann man es nicht sehen, denn ihr Gesicht verbirgt ein glitzernder Schleier. Seine Farbe ist die gleiche der roten Schärpe, die auf dem weißen Spitzengewand glänzt. Es ist die Farbe des Blutes, das vergossen werden soll in der Nacht der Stille von der Reis Çeliks bitter realistisches Film-Poem erzählt.
In sanften, fast zärtlichen Bildern bricht der türkische Regisseur und Drehbuchautor das Schweigen, das die Charaktere gleich einem unsichtbaren Feind umgibt. Mit Gesten und kleinen Worten kämpfen sie dagegen an und sind dennoch hilflos in der Nacht der Stille. Das rauschende Fest, das diese Nacht einleitet, ist keine Totenfeier, obwohl Blut vergossen und ein Mädchen zu Grabe getragen wird. Die Night of Silence des bedrückenden Dramas, das in seiner feinfühligen Zurückhaltung umso energischer auf ein fortdauerndes gesellschaftliches Unrecht weist, ist eine Hochzeitsnacht. Die Eheschließung findet in einer kleinen Dorfgemeinschaft im ländlichen Anatolien statt. Für den Bräutigam (Ilyas Salman) ist das Fest auch das seiner Rückkehr in den Heimatort. Zweimal führte das Einhalten der Tradition ihn daraus fort, beide Male ins Gefängnis. Seine Freiheit hat er zurückerhalten, seine Jugend aber ist ihm genommen.

Als alter Mann steht er vor dem Neffen, der ihm zu seinem Eheglück gratuliert. „Du musstest viel durchstehen. Mögest du von nun an glücklich sein.“ Die gleichen Wünsche eines zufriedenen Heims hört die verschleierte Braut, die von den Feiernden wie in einem Triumphzug in das Haus der Eheleute geführt wird. Ihre Gefangenschaft hat begonnen als die ihres Bräutigams beendet war. Eine Flucht aus dem Gefängnis würde ihrer Familie Schande bereiten. „Wir alle waren Bräute wie du“, erinnert sie die alte Mutter: „Egal, ob dein Mann dich schlägt oder beschimpft, geh nie aus dieser Tür. Dies ist dein Heim.“ Das Haus des Mannes, dem sie versprochen ist, wird das Grab ihrer Jugend. Das Blut, auf das symbolisch das Rot von Schleier, Schärpe und der lackierten Fingernägel verweist, ist der Beweis für die Jungfräulichkeit der Braut. Er muss dem Dorf erbracht werden, indem der Ehemann das befleckte Bettlaken am Morgen aus dem Fenster hängt.

Diesem drückenden Beweiszwang unterliegt auch der Bräutigam, der als Zeichen seiner Potenz und des Vollzugs des Beischlafs in die Luft schießen muss. Die Waffe hat den gealterten Ehemann hinter Gitter gebracht. Nun scheint sie gleich eines Omens zukünftiger Schuld stets zwischen ihm und der Braut zu liegen. „Es gibt nichts, wovor du Angst haben musst“, sagt er schmeichelnd, doch in Wahrheit ist er derjenige, der sich fürchtet. Seine Hand zittert, bevor sie den Schleier berührt. Als sie das quälende Warten beendet und das Gesicht der Braut enthüllt, ist es das eines Kindes. Kaum älter als zwölf wirkt das geschminkte Antlitz der Hauptdarstellerin Dilan Aksüt, deren Figur namenlos bleibt. Das Mädchen ist die Braut, der Mann ist der Bräutigam.

Tradition überdeckt Individualität, die bei der Eheschließung keine Rolle spielte. „Manche Geschichten sind magisch“, sagt die Braut, die mit einer suggestiven Mischung aus Kindlichkeit und Reife ihren Ehemann dazu bringt, ihr ein Märchen zu erzählen. „Sobald du begonnen hast, musst du sie zu Ende erzählen.“ Eine solche Geschichte ist auch das ebenso kritische wie einfühlsame Kleinod. Die Nacht der Stille weicht einem trüben Morgen, schneidend und kalt wie die Schicksale, die er besiegelt.

Night of Silence - Lal Gece

„Weine nicht“, sagt die Mutter als der Augenblick des Abschieds gekommen ist, nachdem sie die Tochter vielleicht nie wieder sehen wird. Die halb besänftigend, halb ungeduldig gesprochenen Worte der alten Frau lindern den Kummer des Mädchens (Dilan Aksüt) nicht, doch reicher Schmuck und ein perlenbesticktes Kleid machen sie selbst in ihrem Schmerz noch schön.
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