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In ihrer Literaturverfilmung „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ zeigen Trine Piil Christensen und Seamus McNally eine Jugend, die mit extremen Mitteln gegen das Gefühl der Sinnlosigkeit kämpft.

Nichts - Was im Leben wichtig ist (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Jung & nihilistisch

Erwachsenwerden kann die Hölle sein. Dies wurde schon in diversen fiktionalen Werken thematisiert – etwa in Frank Wedekinds Theaterstück „Frühlings Erwachen“ (1891), in Robert Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ (1906) oder in den Filmen „Carrie“ (1976) von Brian De Palma, „Evil“ (2003) von Mikael Håfström und „Geständnisse“ (2010) von Tetsuya Nakashima, bei denen es sich wiederum um Literaturbearbeitungen handelt. Auch die 1964 in Kopenhagen geborene Schriftstellerin Janne Teller schuf mit „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ im Jahr 2000 eine äußerst düstere Coming-of-Age-Geschichte, die in der internationalen Kulturszene Debatten auslöste.

Das Regie-Duo Trine Piil Christensen und Seamus McNally hat den Roman nun verfilmt. Der Plot wird in die heutige Zeit verlegt; so gibt es etwa Smartphones und ein paar Hinweise auf aktuelle Probleme. Im Kern ist die von Teller erdachte Story jedoch so zeitlos, wie es auch die Werke von Wedekind oder Musil sind. Als Erzählerin fungiert die Achtklässlerin Agnes (Vivelill Søgaard Holm), die uns schildert, welche Konsequenzen das aufbegehrende Verhalten ihres Mitschülers Pierre Anthon (Harald Kaiser Hermann) auf sie und ihr gleichaltriges Umfeld hat.

Als Pierre Anthon im Unterricht einen Fragebogen zur Berufsberatung ausfüllen soll, weigert er sich und zieht sich auf einen Baum zurück. Er ist desillusioniert und sieht keinen Sinn mehr im Leben. Agnes und ihre Klassenkamerad:innen sind darüber derart aufgebracht, dass sie Pierre Anthon unbedingt das Gegenteil beweisen wollen. Sie beschließen, Dinge anzuhäufen, die ihnen etwas bedeuten. Doch was zunächst spielerisch beginnt und sich nur auf Materielles bezieht, nimmt bald finstere und überaus grausame Züge an. Die Opfer, die die Jugendlichen einander abverlangen, werden immer extremer.

Der Film  setzt (wie schon seine Vorlage) etwas zu sehr auf eine Schockwirkung. Die Stärken liegen vor allem in der Darstellung der Ausgangslage – etwa in der Vermittlung des enormen Drucks, mit dem junge Menschen früh konfrontiert werden, da sie es „zu etwas bringen müssen“. Auch die empfundene Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins („13, 14, erwachsen, tot…“), die gerade bei Heranwachsenden zu einer schmerzhaften Frustration führen kann, wird treffend eingefangen – nicht zuletzt dank des intensiv spielenden Ensembles um Vivelill Søgaard Holm als Agnes und Maya Louise Skipper Gonzales als Agnes’ beste Freundin Sofie.

In seinen bittersten Momenten lässt Nichts an das Kino des Österreichers Michael Haneke denken, vor allem an das Thriller-Drama Benny’s Video (1992). Dessen Komplexität vermag dieser Film nicht ganz zu erreichen. Das junge Ensemble und der genaue Blick auf die Situation und Orientierungslosigkeit der adoleszenten Figuren machen ihn dennoch zu einer beklemmenden Erfahrung.

Nichts - Was im Leben wichtig ist (2022)

Weil nichts mehr eine Bedeutung zu haben scheint, verweigert der Teenager Pierre-Anthon fortan die Teilnahme am Alltag und zieht sich in eine Baumkrone zurück. Dort thront er über den restlichen Mitschüler:innen, die ihn unbedingt widerlegen wollen: Natürlich gibt es Dinge, die Sinn und Wert haben. Zum Beispiel die Lieblingssandalen oder das Rennrad. Zuerst sind es solche Objekte, die auf dem heimlich errichteten „Berg der Bedeutung“ landen. Doch weil persönliche Opfer eigentlich richtig weh tun müssen, überbietet sich die Klasse bald an grausamen Ideen, wer hier was für den Altar beisteuern muss. (Quelle: Fantasy Filmfest 2022)

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