Nichts ist besser als gar nichts

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Der Traum vom selbstbestimmten Leben

Es ist ein alter Traum der Menschheit: Maschinen nehmen uns unangenehme Arbeiten ab. Und wir werden frei für selbstbestimmtes Tun. Sei es, dass wir Bienen züchten. Sei es, dass wir Bilder malen. Oder Theorien entwerfen über eine neue Bewertung gesellschaftlich sinnvoller, aber bislang nicht gewürdigter Tätigkeiten. Die Sache mit den Maschinen ist wahr geworden, aber die andere Hälfte des Traums bleibt schöne Utopie. Warum das so ist, beleuchtet Dokumentarfilmer Jan Peters in einem Selbstversuch – spannend erzählt, kreativ bebildert und in eine Tonlage gefasst, die Mut macht.
Die Ausgangslage von Nichts ist besser als gar nichts könnte jedem von uns passieren: Die Freundin fliegt ins Ausland und nimmt versehentlich die Geldbörse des Partners mit. So steht Jan Peters am Frankfurter Flughafen mit buchstäblich „nichts“. Allerdings ist seine Lage tatsächlich besser als „gar nichts“. Er hat nämlich noch den Gruppenfahrschein für den Rhein-Main-Verkehrsverbund in der Tasche. Und eine Idee im Kopf: Mit dem Ticket darf er nämlich 24 Stunden lang mit U- oder S-Bahnen umhergondeln und bis zu vier andere Fahrgäste mitnehmen. Für die ist es meist billiger, für zwei Euro bei Jan Peters mitzufahren, als eine eigene Fahrkarte zu lösen. Gedacht, getan. Aus den ersten Versuchen wird eine „Corporate Identity“, sprich Arbeitskleidung und Visitenkarte, mit dem dazugehörigen „Business-Plan“. Oder anders gesagt: Das Unternehmen „Main-Tours“, das für sich mit dem Slogan wirbt: „Sei fit, fahr’ mit“.

Man merkt es schon: Die Sprache der Marketingexperten, Persönlichkeits-Coaches und Ratgeber-Autoren wird hier tüchtig durch den Kakao gezogen. Ebenso wie die Bemühungen von Politik und Arbeitsbürokratie, das Ende der Arbeitsgesellschaft durch Ein-Euro-Jobs, ABM-Maßnahmen oder Ich-AGs zu kaschieren. Aber zugleich verfolgt Jan Peters, der 2007 schon den Kurzfilm Wie ich ein freier Reisebegleiter wurde gedreht hatte, ein ernsthaftes Anliegen. Und deshalb spielt der Film sozusagen auf zwei Ebenen. Da ist einmal die Ebene des Selbstversuchs: Wird es Jan Peters gelingen, tatsächlich die sechs Wochen bis zur Rückkehr mit „Main-Tours“ zu überbrücken? Das ist ein finten- und wendungsreicher Spannungsbogen, mit Aufs und Abs, immer neuen Ideen und immer neuen Ernüchterungen.

Zum anderen ist da aber die Ebene der Menschen, die Peters im öffentlichen Nahverkehr trifft. Die helfen ihm, ein anderes Experiment erfolgreich zu bestehen: Wird es ihm gelingen, seiner Freundin die besseren Geschichten zu erzählen als die, die sie aus einem abenteuerreichen Auslandsaufenthalt mitbringt? Da hat der Regisseur gute Karten. Etwa wenn er von Jürgen erzählen wird, der sich als Verkäufer der Obdachlosenzeitung „fiftyfifty“ eine höchst kommunikative Existenz aufgebaut hat. Oder von Maik, der Philosophie studiert hat und heute Unternehmen mit neuen Ideen versorgt, indem er die Gedanken von Hegel und Kant in eine Manager-gerechte Sprache übersetzt. Oder von den Bienenzüchtern, von denen einige freischaffende Künstler sind, die sich mit den Bienenstöcken auf dem Dach des Museums etwas dazuverdienen. Alles also Existenzen, die das Ende der Arbeitsgesellschaft ins Positive wenden und für sich selber etwas Befriedigendes daraus ziehen.

Jan Peters macht aus diesen Begegnungen keinen dogmatischen Thesenfilm. Er bietet Assoziationsmaterial, aus dem jeder Zuschauer seine eigenen Schlüsse ziehen kann. Und so ist die Initiative von Tagesmutter Susanne Wiest nur ein Gedanke unter vielen, obwohl er vielleicht die heimliche Sympathie des Regisseurs genießt. Sie hat beim Bundestag eine Petition eingereicht, in der sie ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle fordert. Eine ähnliche Idee verfolgt auch der weitaus prominentere Unternehmensgründer und Milliardär Götz Werner. Aber ihn hat der Regisseur in der Frankfurter U-Bahn nicht getroffen. Vielleicht ist das besser so. Sonst wäre aus einem wunderbar leichten und fantasievollen Film womöglich ein theorielastiges Soziologenseminar geworden.

Nichts ist besser als gar nichts

Es ist ein alter Traum der Menschheit: Maschinen nehmen uns unangenehme Arbeiten ab. Und wir werden frei für selbstbestimmtes Tun. Sei es, dass wir Bienen züchten. Sei es, dass wir Bilder malen.
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