Nebraska

Eine Filmkritik von Festivalkritik Cannes 2013 von Joachim Kurz

Für Versöhnung ist es niemals zu spät

Nebraska heißt nicht nur das sechste Album von Bruce Springsteen, sondern auch der neue Film des Regisseurs Alexander Payne, der neben About Schmidt und The Descendants — Familie und andere Angelegenheiten vor allem für sein Roadmovie Sideways bekannt geworden ist. Was den Film mit dem Album des Musikers eint, ist deren gemeinsames Interesse für das ganz normale Leben der einfachen Leute in den ländlichen Gebieten der USA. Während Springsteens Album aus dem Jahre 1982 aber entschieden düster geraten ist, bildet Melancholie, aber nicht Resignation die Grundtonalität in dem in Schwarzweiß gedrehten Film, der vordergründig eine Familiengeschichte erzählt und nebenbei viel über die Wünsche und enttäuschten Hoffnungen mehrerer Generationen in den Great Plains verrät.
Billings, Montana heißt der Ort, in dem die Geschichte beginnt. Woody Grant (Bruce Dern), ein alter Mann mit deutlichen Anzeichen von Altersdemenz schlurft entlang einer großen Straße, bis ihn der Sheriff aufliest und nach Hause verfrachtet. Es ist nicht das erste Mal, dass Woody ausgebüxt ist und wenn man die Vorwürfe seiner Ehefrau Kate (June Squibbs) so hört, dann kann man das auch gut verstehen. Nun aber hat Woody noch einen ganz anderen Grund — er hat eine Million Dollar gewonnen. Die verspricht jedenfalls eines jener Gewinnzertifikate, die man per Postwurfsendung erhält und die normalerweise ungelesen beim Altpapier landen. Weil jedermann weiß, dass diese Gewinnbenachrichtigungen nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden. Nur Woody weiß es nicht. Für ihn bedeutet der vermeintliche Gewinn, dass er sich endlich seine bescheidenen Träume erfüllen kann — einen neuen Pick-up und einen Kompressor, mehr verlangt er gar nicht mehr am Ende seines Lebens, das gezeichnet war von Enttäuschungen und von seiner Alkoholsucht, die die Ehe mit Kate zu einer komplizierten Angelegenheit hat werden lassen. Auch die Beziehung zu seinen beiden Söhnen war nicht die beste, und dennoch erklärt sich David (Will Forte), ein frisch getrennter Verkäufer von Unterhaltungselektronik, dazu bereit, sich mit dem Vater auf den Weg nach Nebraska zu machen, wo der Millionengewinn abgeholt werden soll. Natürlich weiß David, dass es diesen Preis überhaupt nicht gibt, doch Woody muss offensichtlich mit eigenen Augen sehen, dass er einer Marketingstrategie aufgesessen ist. Also machen sich die beiden auf den Weg und stranden unterwegs in Hawthorne, Montana, wo Woody aufgewachsen ist und und die Familie später lange lebte. Dort lockt zwar kein Geld, aber es gibt noch eine ganze Menge offener Rechnungen mit Menschen, die früher einmal für die Grants von Bedeutung waren — und natürlich die liebe Verwandtschaft, die den vermeintlichen Millionengewinn buchstäblich für bare Münze nimmt.

Es sind zunächst die Dialoge, die von Nebraska im Gedächtnis bleiben, das Keifen und die Kodderschnauze von Kate, die ihr Herz auf der Zunge trägt und daraus nun wahrlich keine Mördergrube macht, das Grummeln und die Halsstarrigkeit von Woody, die grenzdebilen Einmischungen der beiden dickleibigen Loser-Cousins aus Hawthorne und die haarsträubenden Situationen, in die die Familie in wechselnden Besetzungen während der Reise gerät. Jenseits dieser Komik liegt aber eine Melancholie und ein Anspielungsreichtum in dieser Geschichte, die ihr noch eine weitere Dimension verleiht. Ohne dass dies bis ins Letzte ausbuchstabiert würde, erfährt man en passant einiges über die Perspektivlosigkeit der ehemaligen Kornkammer der USA, über Jobs, die verlorengingen, Hoffnungen, die sich nicht erfüllten, Wunden und Spuren, die das gesellschaftliche, ökonomische und private Leben der Beteiligten abbekommen hat im Laufe der Jahre.

Die einfache Geschichte und die bescheidenen Verhältnisse, in denen Nebraska spielt, werden durch die Kamera Phedon Papamichaels und die Musik von Mark Orton effektiv unterstützt, so dass Nebraska am Ende zwar filmästhetisch nicht der ganz große Wurf geworden ist (man hätte sich sehr gewünscht, dass die Nostalgie durch die Wahl von 35mm-Material eingefangen würde), aber ein sehr sympathischer Film über das Altern und den Umstand, dass es für eine Versöhnung nie zu spät ist.

(Festivalkritik Cannes 2013 von Joachim Kurz)

Nebraska

„Nebraska“ heißt nicht nur das sechste Album von Bruce Springsteen, sondern auch der neue Film des Regisseurs Alexander Payne, der neben „About Schmidt“ und „The Descendants — Familie und andere Angelegenheiten“ vor allem für sein Roadmovie „Sideways“ bekannt geworden ist. Was den Film mit dem Album des Musikers eint, ist deren gemeinsames Interesse für das ganz normale Leben der einfachen Leute in den ländlichen Gebieten der USA.
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