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Gleich mit ihrem ersten Film gewann die Regisseurin Nikyatu Jusu den Großen Preis der Jury auf dem renommierten Sundance-Filmfestival. Für eine Kinoauswertung in Deutschland reicht es dennoch nicht: Der Arthouse-Horror startet hierzulande direkt bei Amazon Prime.

Nanny (2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Afrikanische Mythen in New York

Themen aus und um Afrika finden in den vergangenen Jahren ein immer größeres Publikum und tauchen in verschiedensten Produktionen auf. So machte Burhan Qurbani 2020 in seiner Adaption von „Berlin Alexanderplatz“ aus Franz Biberkopf einen Flüchtling aus Afrika. In „His House“ (2020 bei Netflix erschienen) kämpft ein Flüchtlingspaar aus dem Südsudan in London gegen die Geister aus der Heimat. Und nun muss sich die junge Aisha aus dem Senegal in einer für sie kalten und fremden Stadt zurechtfinden. Dabei stechen die Parallelen zwischen „His House“ und „Nanny“ durchaus ins Auge: In beiden Fällen müssen sich die Protagonist*innen mit den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzen. Während Ersterer allerdings in seinen Rückblenden auf sehr konkrete Ereignisse Bezug nimmt, geht es in „Nanny“ hauptsächlich um afrikanische Mythen, die in ihrer Andersartigkeit ebenso überzeugen wie mit ihrem Potenzial für Horror.

Aisha, gespielt von Anna Diop (Titans), möchte für sich und ihren Sohn in New York ein neues Leben aufbauen – weit weg vom Senegal, wo sie ihr Kind zurücklassen musste, um den Sprung in die USA überhaupt zu schaffen. Sie findet einen Job als Nanny für die Tochter eines Fotografen und einer Businessfrau, mit der sie sich gut versteht. Auch die Liebe hält in Form des Haustürstehers Malik wieder Einzug in ihr Leben. Doch dann beginnen plötzlich rätselhafte Albträume, in denen sie sich mit den Schrecken ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht.

Dies geschieht beispielsweise in Form des Spinnengottes Anansi, den schon Neil Gaiman so spannend fand, dass er ihn in seinem Roman American Gods prominent auftauchen ließ und ihm später auch eine Fortsetzung namens Anansi Boys widmete. Neben diesem Wesen, das weder gut noch böse ist, sondern sich in einer Art Grauzone aufhält, gibt es noch andere Gestalten aus der Mythologie wie die Meerjungfrau, die in Afrika eher als böses Omen gilt. Regisseurin Nikyatu Jusu verknüpft diese Sagengestalten mit den Alltagssorgen, mit denen Aisha sich auseinandersetzen muss. 

Der Schmerz über die Trennung von ihrem Sohn, der sich in Telefonaten immer reservierter zeigt, je länger er von seiner Mutter getrennt lebt, der Ärger mit Auftraggeberin Amy (stark gespielt von Michelle Monaghan), die sich von der zuvorkommenden Chefin immer mehr zu einer Art moderner Sklavenhalterin mausert, ihr Mann, der nicht viel von ehelicher Treue hält und auch Aisha Avancen macht – all das bündelt die Regisseurin in edle Optik. So zeichnet sie ein präzises Bild einer jungen Frau zwischen zwei Welten, die sich in keiner richtig zuhause fühlt. Und die sich mit Strukturen konfrontiert sieht, die in neuen Verpackungen alte Botschaften transportieren. 

Und so ist der einzige Kritikpunkt an Nanny das Etikett. Denn Jusus Debüt wird allgemein als Horrorfilm geführt. Und genau auf dieser Ebene liefert Nanny nicht ab. Zwar sind die Visionen und träume von Aisha durchaus unheimlich inszeniert, aber von einem wirklichen Horrorfilm ist das doch recht weit entfernt. Nanny ist ein lupenreines Drama, das zu einem kleinen Teil von unerklärlichen Ereignissen geprägt ist – und dann tatsächlich ein wenig an Wenn die Gondeln Trauer tragen erinnert, auch wenn Nanny die Intensität dieses Klassikers in keinem Moment erreicht. Hier genauer ins Detail zu gehen, wäre aber ein Spoiler. Und der Schrecken des Alltags spielt in Nanny auch eine viel größere Rolle. Wie sich Aishas Träume und Hoffnungen auf erst subtile und später zunehmend rabiate Art zerschlagen, ist zudem weitaus emotionaler mit anzusehen als die gelegentlichen Albträume, die einen Horrorfan ohnehin eher kalt lassen.

Wer also den dramatischen Aspekt der Geschichte schätzt, bekommt mit Nanny zwar keinen perfekten, aber doch einen mitreißend gespielten und klug geschriebenen Film. Wer Jusus Erstling hingegen als Horrorspektakel genießen will, dürfte enttäuscht sein. Denn mehr als ein gelegentliches Unbehagen erzeugt Nanny nicht.

Nanny (2022)

Die illegale Immigrantin Aisha aus dem Senegal wird als Kindermädchen für die Tochter eines wohlhabenden weißen Paares aus Manhattan engagiert. Leicht gewinnt sie die Zuneigung des ihr anvertrauten Mädchens Rose. Dabei muss Aisha feststellen, dass die Ehe ihrer Eltern unharmonisch verläuft. Roses Mutter ist ein Kontroll-Freak, während der aufgeweckte Vater als Fotojournalist arbeitet. Aisha selbst vermisst ihren in Afrika zurückgelassenen kleinen Sohn. Sie hofft, dass ihr die prekäre Arbeit ermöglicht, ihn bald in die USA nachkommen zu lassen. Als die Ankunft von Aishas Sohn unmittelbar bevorsteht, beginnt eine übernatürliche Präsenz sowohl in ihre Träume als auch in ihre Realität einzudringen

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