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Geist gegen Psyche: In diesem herausragenden Debütfilm handelt sich ein Pärchen mit unaufgearbeiteten Problemen auch noch eine untote Mutter ein.

Mother, May I? (2022)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Mommy Issues

Nach dem Kinohit „Smile“ ist Kyle Gallner erneut in einem Horrorfilm über psychische (Un-)Gesundheit zu sehen. „Mother, May I?“ ist allerdings ein sehr viel intimeres Projekt. Das Langfilmdebüt von Laurence Vannicelli (Drehbuchautor von „Porno“) kommt mit kaum mehr als einer Location und zwei Schauspielenden, und auch inhaltlich ohne den Holzhammer aus.

Emmetts (Gallner) Mutter ist gestorben. Die beiden scheinen keine gute Beziehung gehabt zu haben. Bei der Wahl der Urne entscheidet er sich für das schlichteste, günstigste Modell. Zusammen mit seiner Partnerin Anya (Holland Roden) besucht er den ländlichen Wohnsitz, den sie hinterlassen hat, um ihn für den Besuch einer Maklerin vorzubereiten. Doch Emmett scheint in Bezug auf seine Mutter etwas zu verdrängen, das nun zurück ins Bewusstsein dringt. Anya, deren Mutter Psychotherapeutin ist, will ihn deshalb zu einem Rollenspiel überreden: Stuhltausch.

Das Thema Psychotherapie diskutieren die Figuren immer wieder. Emmett fällt die Arbeit an seinem Inneren schwer und er erwähnt, dass die Krankenkasse seine Sitzungen nicht übernimmt. Anya wirft ihm vor, seinem Trauma auszuweichen. Schlimmer noch: Sie befürchtet, dass sein eigener Kinderwunsch damit in Zusammenhang steht, und solange Emmett nicht brav zur Therapie geht, ist sie nicht sicher, ob sie Kinder mit ihm haben will.

Das ist viel Ballast, der sich im Laufe des Films noch vervielfachen wird. Das Stuhltausch-Spiel ist eigentlich ein Klassiker der Mediation und Paartherapie. Als schlechte Idee erweist es sich aber, den Perspektivwechsel mit einem Pilztrip zu verbinden. Anfangs täuscht der Film noch klassische Gruselmotive an: Stimmen flüstern, Dielen knarzen, Türen bewegen sich von selbst. Dann ist es aber plötzlich nicht mehr das Haus, sondern Anya, die vom Geist der toten Mutter besetzt wird. Holland Roden, die sich erst in den letzten Jahren vom Fernsehen ins Horrorfach umorientiert hat, setzt das durch eine beeindruckende Veränderung ihres Spiels um.

Das soll nicht die letzte Wendung bleiben, die der Film bereithält. Bald ist man sich auch beim Zusehen nicht mehr sicher, was man glauben soll. Wirklich eine Besessenheit? Eine Nachwirkung des Pilztrips? Oder doch nur ein böser Streich der paternalistischen Partnerin? Das wird durch den Schnitt verstärkt: Emmett hat einen Traum im Traum – ein Motiv, das seit den Tagen Edgar Allan Poes nie an Gruselfaktor verloren hat. Danach sind die Tageszeiten mitunter so anschlusslos, die erzählte Zeit so fragmentiert, dass parallel zu Emmetts Realitätsverlust auch die Filmsprache immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Die Figuren wirken irgendwann wie gefangen in dem alten Landhaus mit einem kleinen See, das Kameramann Craig Harmer diesig und unscharf fotografiert hat.

Am Ende ist Mother, May I? viel mehr als ein Besessenheitsfilm mit einem Twist: Es geht auch um Anyas Beziehung zu ihrer eigenen Mutter, um die Beziehung der beiden zueinander, um Kinderwünsche und Kindesmissbrauch, darum, wie man auch als erwachsene Menschen die Prägung der Eltern kaum überwinden kann, darum, wie ungesund bis unmöglich es ist, im Privaten autodidaktisch zu therapieren und was wohl stattdessen die beste Methode wäre. Leidenspornografie im Kino kann sehr anstrengend sein, wenn sie nicht wirklich etwas über das Menschsein zu sagen hat. Wie diese beiden komplexen Figuren sich aufgrund ihrer individuellen Probleme in einer zunehmend toxischen Beziehung, ja gar einer Dreierbeziehung mit Mutter Tracey verstricken, ist aber höchst mitreißend. Echte Gruseleffekte sind nicht der Fokus des Films, kommen dabei aber auch nicht zu kurz. Mother, May I? ist ein herausragendes Debütwerk.

Bevor man sich also selbst einen Geist einhandelt, kann man sich nach Sichtung dieses Films nur vornehmen, in Therapie zu gehen – und seinen Liebsten besser dasselbe zu empfehlen, anstatt einander zu therapieren.

Mother, May I? (2022)

Sie ist tot und doch allgegenwärtig: Emmetts übermächtige Mutter Tracy, die er seit Kindheitstagen nicht gesehen hat, ist verstorben und hat ihm ein ansehnliches Landhaus vermacht. Hin, verkaufen, abhauen – so lautet der Plan. Doch die im gesamten Anwesen hängenden Bilder und der Fundus an Familienvideos reißen alte Wunden auf. Emmetts Verlobte Anya will ihm helfen und nötigt ihn zu therapeutischen Rollenspielen. Dadurch beginnt sich eine unheimliche Verwandlung zu vollziehen. Immer mehr verschmilzt die junge Frau mit der Toten, wird geradezu ein Ebenbild der tyrannischen Matriarchin. Bald ist Emmett überzeugt: Seine teuflische Mutter hat von Anya Besitz ergriffen. Er muss sie befreien – koste es, was es wolle. (Quelle: Fantasy Filmfest)

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