Morgentau

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schmerzhafte Rückkehr in eine fremde Heimat

Lange Zeit war es still um Haile Gerima geworden, der seit den 1960er Jahren in den USA lebt und arbeitet. Zwar gilt er als einer der produktivsten Regisseure äthiopischer Herkunft (was durchaus an seinem Wohnort USA liegen dürfte, wo die Arbeitsbedingungen für ihn ungleich besser sind als in seiner zerrütteten und bitter armen Heimat), doch seit dem Jahre 1999 hat man von kaum mehr etwas gehört und erst recht nichts gesehen. In jenem Jahr war sein bislang letztes Werk Adwa – An African Victory erschienen. Umso gelungener ist die Rückkehr auf die Leinwand des Weltkinos, die Gerima mit Morgentau gelingt, den man durchaus auch als zumindest teilweise autobiografisches Werk deuten kann. Wie sein Protagonist, so wanderte auch Gerima in den späten Sechzigern in den Westen aus und kehrte Mitte der Siebziger nach Äthiopien zurück, wo sein Film Harvest: 3000 Years entstand. Seitdem ist er ein Wanderer zwischen den Welten geworden, genauso wie der Protagonist in seinem Film Morgentau, der nun mit dreijähriger Verspätung zumindest einen kleinen Kinostart in Deutschland feiern kann. Hätte Gerima noch Geldgeber in seiner neuen Heimat USA gewinnen können, wären die biografischen Parallelen zwischen ihm und der Hauptfigur seines Filmes womöglich noch deutlicher zu Tage getreten. Da aber in den USA kein Produzent den Stoff produzieren wollte, suchte und fand der äthiopische Filmemacher Geldgeber in Deutschland, so dass nun ein Teil der Story auch hierzulande angesiedelt ist.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Äthiopier Anberber (Aaron Arefe), der für einige Zeit in Deutschland gelebt hat, um dort Medizin zu studieren. Mitte der 1970er Jahre kehrt er in seine Heimat zurück, voller Hoffnung, sich als Intellektueller am Aufbau Äthiopiens nach den Verheerungen der Diktatur Haile Selassies zu beteiligen. Für den Sturz des Despoten im Jahre 1974 hatten junge linksgerichtete Militärs gesorgt, deren fortschrittliche Ziele zu einigen Hoffnungen für die Zukunft des Landes berechtigten. Auch Anberber ist zuversichtlich, doch sein Optimismus wird nicht lange anhalten. Immer weiter schlittert das Land in einen blutigen Bürgerkrieg, bis schließlich der Offizier Haile Mengistu Mariam die Macht an sich reißt und mit sowjetischer Unterstützung eine kommunistische Schreckensherrschaft errichtet, die bis 1991 andauert und rund eine halben Million Menschen das Leben kostet. Zu den Drangsalierten gehört bald schon wegen einer unbedachten Äußerung auch Anberber, der trotz seiner politischen Einstellung, die durchaus auf der gleichen Linie wie die (offiziellen) Ziele der sozialistischen Machthaber liegt, wie beinahe alle Intellektuellen zum Staatsfeind erklärt wird. Auch in Deutschland, wohin man ihn zurückschickt, sind die Menschen Anberber nicht wohlgesonnen, sein Leben zwischen verschiedenen Welten gerät zu einem Spießrutenlauf an dessen Ende er 1990 wieder in seiner Heimat steht und zu begreifen versucht, warum sein Leben diesen Verlauf nahm. Doch das Ende des Terrorregimes ist nahe und auch dank Anberbers Hilfe besteht vielleicht doch Hoffnung auf eine bessere Zukunft – auch wenn Mengistu bis zum heutigen Tage unbehelligt im Exil in Zimbabwe lebt und die Untaten seines Regimes nie aufgearbeitet wurden. Auf dem schmerzhaften Weg des Erinnerns, der Äthiopien bevorsteht, markiert Morgentau einen längst überfälligen Schritt.

Morgentau ist kein einfacher Film geworden. Die ständigen Zeit- und Ortswechsel zwischen verschiedenen Episoden von Anberbers Vergangenheit und seiner Gegenwart, zwischen den 1970er Jahren und der Zeit kurz nach dem Fall der Berliner Mauer, zwischen Deutschland und Äthiopien, die verworrenen Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Bürgerkriegsparteien, die Kontrastierung des archaisch anmutenden Dorflebens gegen die pralle Quirligkeit einer Stadt wie Addis Abeba und der mitunter rapide Wechsel zwischen harscher Realität und bildgewaltiger Phantastik erfordern fast schon intime Vorkenntnisse der politischen Geschichte des afrikanischen Landes und ein hohes Maß an Geduld. Zumal sich viele der Andeutungen erst gegen Ende des 140 Minuten langen Films auflösen und an manchen Stellen nicht immer dramaturgisch gelungen gestaltet wurden.

Dennoch imponiert Haile Gerima mit seinem Film durch eine außerordentlich dichte Inszenierung, die kaum je Längen aufkommen lässt. Zwar ist die Geschichte Anberbers in erste Linie eine sehr persönliche und eindringlich gehaltene Aufarbeitung einer spezifischen Figurenbiographie vor dem Hintergrund der brutalen Ereignisse in Äthiopien während dreier Jahrzehnte. Morgentau kann aber auch als universelle Parabel auf das Leben und das Überleben in Zeiten von Diktatur und Chaos verstanden werden. Als Darstellung des Überlebenskampfes eines Mannes, der nicht nur im ausländischen Exil, sondern auch in der Heimat immer wieder die schmerzhafte Erfahrung machen muss, was es bedeutet, ein Fremder zu sein. Die Ereignisse in vielen nordafrikanischen und arabischen Staaten in der letzten Zeit und die Historie dieser Regionen und ihrer Menschen, von denen viele ein ähnliches Schicksal erlebt haben dürften wie Anberber, machen aus Morgentau ein Werk, das durchaus dazu geeignet ist, auch jenseits der äthiopischen Gemeinde Zuschauer zu interessieren. Zumal Äthiopien auch heute noch einen weitgehend unbekannten blinden Fleck auf der Weltkarte des Autorenfilms darstellt. Das wird sich zwar mit diesem Film kaum ändern lassen, doch Morgentau ist ein Anfang: Gegen das Vergessen der eigenen jüngeren und jüngsten Geschichte. Und möglicherweise für das langsame Entstehen einer eigenen äthiopischen Kinematographie, die mehr von diesem Land erzählt. Denn Geschichten, das weiß man spätestens durch Gerimas Film, gibt es hier mehr als genug.

Morgentau

Lange Zeit war es still um Haile Gerima geworden, der seit den 1960er Jahren in den USA lebt und arbeitet. Zwar gilt er als einer der produktivsten Regisseure äthiopischer Herkunft (was durchaus an seinem Wohnort USA liegen dürfte, wo die Arbeitsbedingungen für ihn ungleich besser sind als in seiner zerrütteten und bitter armen Heimat), doch seit dem Jahre 1999 hat man von kaum mehr etwas gehört und erst recht nichts gesehen.
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Meinungen

David Zdunek · 16.05.2011

Habe ihn bei der Berliner Premiere gesehen. Klasse Film.
Eine ganz andere Kinoerfahrung im Vergleich zu westlichen Filmen.
Kann ich nur empfehlen.

Pete · 16.02.2011

Ich habe den Film 2009 auf dem größten afrikanischen Filmfestival FESPACO in Burkina Faso gesehen. Ein sehr intensiver, vielschichtiger und aufwühlender Film. Er hat sogar den Hauptpreis des Festivals gewonnen. Ich habe immer gehofft, dass der Film auch in deutschen Kinos zu sehen sein wird. Nach über 2 Jahre ist es endlich so weit.
Ich werde ihn mir sicher noch einmal anschauen und kann dies sonst auch jedem empfehlen