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Kinder, die die Welt verbessern – das gibt es nicht erst seit Greta Thunberg. Der Filmemacher Gilles de Maistre stellt sieben von ihnen und ihre außergewöhnlichen Projekte vor.

Morgen gehört uns (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Kinder an die Macht!

„Gebt den Kindern das Kommando“, forderte Herbert Grönemeyer bereits 1986 in seinem Song „Kinder an die Macht“ auf seinem sechsten Studioalbum „Sprünge“. Der Tenor des Songtextes lautete, dass die Welt, wäre sie in Kinderhänden, eine bessere wäre, weil Kinder weder Rechte noch Pflichten kennten und nicht berechneten, was sie täten. Nach der Rezeption von Gilles de Maistres Dokumentarfilm verfestigt sich der Eindruck, dass unsere Welt in den Händen unserer Kinder tatsächlich eine bessere sein könnte – allerdings aus ganz anderen Gründen. Denn die im Film porträtierten Kinder wissen ganz genau, was sie tun. Gerade ihr Pflichtbewusstsein ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt gegenüber verhilft ihnen zu großen Sprüngen.

Wer an engagierte junge Menschen denkt, hat dieser Tage vermutlich als erstes Greta Thunberg im Sinn. Auch in Gilles de Maistres Dokumentarfilm kommt die inzwischen weltberühmte Klimaschutzaktivistin vor – jedoch nur am Rand und ganz am Schluss. De Maistre hat seinen Film um den 13-jährigen Peruaner José Adolfo gebaut. Der hat als Siebenjähriger (!) eine Umweltbank gegründet, wofür er sechs Jahre später für den Children’s Climate Prize in Stockholm nominiert ist, für den auch Thunberg eine Nominierung erhalten hat. Am Beispiel von José Adolfo und den anderen im Film porträtierten Kindern verdeutlicht de Maistre, dass es noch viele weitere engagierte junge Menschen mit famosen Ideen gibt.

Da ist die zwölfjährige Aïssatou, die in Guinea unermüdlich vor Schulklassen und auf Straßenmärkten spricht, um Mädchen und junge Frauen über die Illegalität der in ihrem Heimatland immer noch weit verbreiteten Kinderehen zu informieren. Da ist der zehnjährige Arthur, der in Nordfrankreich seine selbstgemalten Bilder verkauft, um die Erlöse Obdachlosen zukommen zu lassen und irgendwann einmal eine Unterkunft für sie errichten zu können. Der Film begleitet die elfjährige Heena durch Neu Delhi. Einst selbst ein Straßenkind ist sie inzwischen eine Kinderreporterin für die Zeitung „Balaknama“, die sich an andere Straßenkinder richtet. Und der Film zeigt Kevin, Jocely und Peter, zehn, zwölf und 13 Jahre jung, die in Bolivien eine Gewerkschaft gegründet haben, um ihr Recht auf Arbeit zu verteidigen, vor allem aber, um die Bedingungen für Kinderarbeit in ihrem Land zu verbessern.

Zusammengehalten werden all diese Geschichten durch einen erzählenden Off-Kommentar aus dem Blickwinkel José Adolfos. Abseits des beachtlichen Engagements beeindrucken aber auch die Sätze, die die Kinder im Off formulieren. Dass er den Schmerz lindern und ihn in Freude verwandeln wolle, sagt etwa der kleine Arthur. Und die US-Amerikanerin Chloe, die in einer Nebenepisode vorkommt und wie Arthur Obdachlosen hilft, drückt ihre Herangehensweise wie folgt aus: „Ein Kind zu sein, ist generell hart, weil viele nicht an einen glauben. Aber am Ende gehe ich einfach raus und mache es.“

Gilles de Maistres Film zeigt uns, dass wir unsere Kinder nicht unterschätzen sollten. Und er zeigt uns, dass wir unsere Kinder nicht vor allem Übel in der Welt schützen können, mehr noch, dass einige unserer Kinder diese Übel bereits in jungen Jahren selbst anpacken. Sein Film versammelt unglaublich beeindruckende Projekte von ebenso beeindruckenden und mutigen Kindern, und er porträtiert Kinder, die für ihr Alter erstaunlich reif sind. Wenn José Adolfo beispielsweise wie aus dem Ei gepellt von Termin zu Termin chauffiert wird, wirkt er nicht nur wie ein Geschäftsmann in einem Kinderkörper, sondern erwachsener als sein eigener Vater. Viele der Kinder in diesem Film besitzen das, was man wohl eine alte Seele nennen würde.

Was angesichts der vielen Beispiele auf der Strecke bleibt, ist das familiäre Umfeld. Bei einigen Kindern blitzt es auf, bei den meisten ist hingegen völlig unklar, wie diese mutigen Weltverbesser:innen ihr enormes Arbeitspensum bewältigen. Dass ihr Engagement auch zu Konflikten führen kann, wird allenfalls angedeutet. Was bleibt, ist indessen das positive Gefühl, dass die Welt mit der nächsten Generation in besseren Händen sein könnte. Und die drängende Frage, weshalb das früheren Generationen nicht gelungen ist. Denn wollten wir selbst, als wir noch Kinder waren, die Welt nicht auch zu einem besseren Ort machen? Ohne so großartige Einfälle wie die im Film vorgestellten, klar, aber immerhin mit Herzblut. Wo genau diese Ideale auf dem Weg zum Erwachsenwerden auf der Strecke geblieben sind, muss sich jede/r Zuschauende selbst beantworten.

Morgen gehört uns (2019)

Es sind Kinder aller Herren Länder, und sie kämpfen für ihre Überzeugungen und eine bessere Zukunft. Sie heißen José, Arthur, Aïssatou, Heena, Peter, Kevin und Jocelyn. Obwohl sie Kinder sind, haben sie ihren Blick geschärft für das, was um sie herum nicht stimmt. Ob Umweltverschmutzung oder fehlende Schulbildung, Obdachlosigkeit oder Kinderehen – sie lassen sich von keinem sagen, dass sie zu klein, zu machtlos oder zu unwissend sind, um gegen die allgegenwärtigen Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Die Zustände, unter denen sie leben, mögen beängstigend sein, doch ihr Lebensmut und ihr untrügliches Gefühl für Gerechtigkeit sind stärker. Woher nehmen diese Kinder den Mut, aufzubegehren? Woher kommen ihre Ideen, die so erstaunlich wie unkonventionell sind? Mit ihrer unglaublichen Charakterstärke und ihrem Mut schaffen es die Kinder, Erwachsene zu überzeugen und in ihnen Unterstützer zu finden. 
 

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