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Sie waren die Vorläufer der Flower-Power-Bewegung: Auf dem Monte Verità oberhalb des Schweizer Orts Ascona gründeten ein paar Künstler und Freigeister eine Kolonie, die sich gegen die bürgerlichen Werte der Zeit wehrte. Der Schweizer Regisseur Stefan Jäger erzählt von diesem Freiheitswunsch.

Monte Verità - Der Rausch der Freiheit (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Auf dem Berg der Wahrheit

Anfang des 20. Jahrhunderts gründeten ein paar Gleichgesinnte, Männer und Frauen, die dem bürgerlichen Leben entfliehen wollten, auf dem Monte Verità, oberhalb des heute touristisch herausgeputzten Ortes Ascona am Lago Maggiore, eine Kolonie. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die deutsche Pianistin und Schriftstellerin Ida Hofmann, die deutsche Lehrerin Lotte Hattemer und der belgische Industriellensohn Henri Oedenkoven, die bei sich (temporäre) Aussteiger oder einfach Menschen, die die Vorzüge des milden Klimas und der guten Luft zu schätzen wussten, aufnahmen. Die berühmtesten unter ihnen waren der Schriftsteller Hermann Hesse, der sich hier mit Ende 20 zu seinem Roman „Siddharta“ inspirieren ließ, die US-amerikanische Tänzerin Isadora Duncan oder der österreichische Psychiater Otto Gross. 

Um die Begegnung all dieser Persönlichkeiten während eines mehr oder weniger exemplarischen Sommers geht es im Historiendrama Monte Verità – Der Rausch der Freiheit des Schweizer Regisseurs Stefan Jäger. Die aufwändige gemeinsame Produktion zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich vereinigt vor und hinter der Kamera Vertreter aller drei Länder. Die angenehm unaufdringliche Musik komponierte beispielsweise der international tätige deutsche Pianist Volker Bertelmann (Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, Ammonite), die Kamera führte die Österreicherin Daniela Knapp (Das schönste Paar, Und morgen die ganze Welt). 

Nach einem vielversprechenden Vorspann, in dem das Bild in einem vielleicht etwas kitschigen, aber dennoch eindrücklichen Farbenspiel und in einer Ästhetik, die die frühe Fotografietechnik imitiert, eingefangen wird, folgt der Film im weiteren Verlauf einer weit konventionelleren Form. Im Wesentlichen orientiert sich das visuelle Konzept an den zwei gegensätzlichen Schauplätzen, die als Rahmen für die Handlung dienen: die großbürgerliche Wiener Wohnung der Familie Leitner, aus der die Hauptfigur ausbrechen wird, und die Berglandschaft, in die die Künstler-Freigeisterkolonie eingebettet ist. Während der erste Ort, erdrückt von schweren Vorhängen und dunkelhölzernem Mobiliar, als gefangener Raum gezeichnet wird, um zu verbildlichen, dass Hanna Leitner (Maresi Riegner) hier buchstäblich die Luft wegbleibt, ist der zweite lichtdurchflutet, die Kamera öffnet den Blick auf die weitgehend unberührte Landschaft und führt auf allen Seiten in die Weite. 

Es ist die Gefühlswelt der fiktiven Hanna Leitner, gespielt von der österreichischen Schauspielerin Maresi Riegner, die den roten Faden der Geschichte bildet. Sie leidet an Asthmaanfällen und einer Art von „Geschlechtsteile-Phobie“, was vor allem bedeutet, dass sie Angst vor dem Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann Anton (Philipp Hauß) hat. Letzterer ist nicht gerade einfühlsamer Natur. Nach zwei Töchtern will er endlich noch einen Sohn zeugen. Seine Ungeduld treibt ihn schließlich dazu, seine Frau zu vergewaltigen. Von ihrer lieblosen Ehe erfährt man über mehrere in der ersten Hälfte des Films verteilte Rückblenden. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion steigt sie in den Zug und folgt ihrem Psychiater Dr. Otto Gross (Max Hubacher), der dort in Kur ist, zum Monte Verità. 

Vor Ort wird sie mit einer ganz neuen Welt konfrontiert, in der sie sich zögerlich zurechtfindet und die ihr schließlich zu neuem Selbstvertrauen verhilft. Sie versucht sich als Fotografin, was ihr ihr Mann, selbst gefragter Porträtfotograf, immer verbieten wollte. Die Fotografien dienen als erzählerisches Leitmotiv. Von den Bewohnern der Kolonie sind tatsächlich Fotos übermittelt worden, doch ist bis heute nicht bekannt, wer diese damals erstellte. Das Drehbuch von Monte Verità – Der Rausch der Freiheit nutzt nun diese Figur als Bindeglied zu den anderen historisch belegten Personen, von denen der Film handelt. Hanna übernimmt zudem die Rolle der Erzählerin, wenn sie aus dem Off aus ihren Briefen an ihre Töchter vorliest oder ihre Beobachtungen mitteilt. 

Die Freiheit, die Hanna, aber auch alle anderen auf dem Monte Verità suchen, übersetzt sich im Film in einfache, doch ziemlich kitschige Bilder. Die Haare flattern im Wind, genauso wie die leichte, farbige Sommerkleidung. Sowieso sind viele Menschen sehr oft nackt. Hermann Hesse, gespielt von Joel Basman, erzählt von seinem Siddharta, während er sich mit ausgestreckten Armen und nacktem Hintern vor die Kamera stellt. Darüber hinaus ist die Figur nur Staffage in der Handlung. Was schade ist, weil mit ihr gleich auch die kritische Stimme gegenüber der Bewegung abgedeckt gewesen wäre. In einer Szene liest Hesse nämlich hämisch-spottend aus einem Text des Autors Erich Mühsam, auch ein Besucher des Monte Verità, der aber sonst nicht weiter in die Handlung eingebunden ist und eine politisch motivierte und eher pessimistisch geprägte Weltsicht vertrat. Ungeschickt geht das Drehbuch mit diesem sehr interessanten Aspekt um, sodass es sinnvoller gewesen wäre, ihn ganz auszusparen, statt so verloren in der Luft stehenzulassen.

Gedanken wie die Mühsams auszuformulieren, hätte dem Film eine dringend nötige tiefgründigere Ebene gegeben, ihn aber auch verkompliziert und vor allem markant die sonst überwiegende die Harmonie gestört. Alle verstehen sich hervorragend in dieser Kommune, die der Hippie-Bewegung zum Vorbild werden sollte, und tatsächlich fehlt auch die Sexszene zwischen Hanna und Otto nicht, die sich, wie voraussehbar war, zwangsläufig nahekommen. 

Der Film hat die üblichen Fehler eines didaktischen Historiendramas. Es mag ihm gelingen, das Verständnis für einen historischen Vorgang zu wecken, er erliegt aber der Gefahr, hinter dem Aufwand an Requisite und der opulenten Bildästhetik die inneren Antriebe der Protagonisten wirklich glaubhaft zu machen. Dem angeblichen Freiheitsrausch, der bereits im Titel des Films angekündigt wird, lässt sich nur zögerlich nachspüren. In überzahlreichen Dialogen und den Bildern spiegeln sich die Gefühle jedenfalls nicht, sodass der Rausch in erster Linie ein theoretischer bleibt.

Monte Verità - Der Rausch der Freiheit (2021)

Die zweifache Mutter Hanna Leitner will dem bürgerlichen Korsett und ihrem Ehemann Anton, der sie sexuell bedrängt, entfliehen. Sie begibt sich in Therapie bei dem jungen Psychoanalytiker Otto Gross und folgt ihm zum Monte Verità, wo sie die Faszination der Photographie entdeckt. Neben dem jungen Hermann Hesse und der Feministin Ida Hofmann ist es die übersinnliche Lotte Hattemer, die Hanna in einen mystischen Bann zieht und zu einer Entscheidung drängt. (Quelle: Coin Film)

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