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In seinem Dokumentarfilm „Miyama – Kyoto Prefecture“ porträtiert Rainer Komers die titelgebende japanische Bergregion in all ihren Facetten und Klängen.

Miyama, Kyoto Prefecture (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Mal gucken, was da kommt…“

Der 1944 in Guben in der Niederlausitz geborene Regisseur und Kameramann Rainer Komers hat einen genauen Blick für die Welt im Kleinen. Das zeigte sich etwa bereits in seinem Dokumentarfilm „Barstow, California“ (2018), der unter anderem auf dem achtung berlin Filmfestival ausgezeichnet wurde – und ist nun auch in seiner neuen Arbeit „Miyama – Kyoto Prefecture“ klar erkennbar. Darin widmet sich Komers der titelgebenden Region nördlich der japanischen Stadt Kyoto und entdeckt dort einen Mikrokosmos traditioneller japanischer Gebräuche.

Komers verzichtet in seinem Film auf Erklärungen via Voice-over. Er lässt die Bilder, die er selbst eingefangen hat, und die Bewohner:innen für sich sprechen. Die Bergregion ist bekannt für ihre schützenswerte Natur – weshalb dieser in Miyama – Kyoto Prefecture auch entsprechend viel Aufmerksamkeit zukommt. Wenn eine ältere Frau ergriffen über einen Baum in der Nähe ihres Zuhauses spricht, wird deutlich, welche tiefe Bedeutung die natürliche Umgebung für die Dorfgemeinschaft von Miyama hat.

Das Werk zeigt die Berglandschaft zwischen Regenzeit und erstem Schnee, erfasst die Wälder (darunter den Ashiu-Forschungswald), Bäche und Flüsse, einen Staudamm und die diversen Tierarten, die in der Gegend im Wasser, auf dem Land und in der Luft leben und neben der Musik zur Tongestaltung des Films beitragen. Komers begleitet die Leute bei der Verrichtung der Arbeit auf den Feldern und in den Gärten, folgt Familien, die in der Landwirtschaft tätig sind, sowie Jägern, Geflügelzüchtern und Anglern. Darüber hinaus wirft der Regisseur einen Blick in das Leben der Gemeinschaft, das sich in den Innenräumen, in den Häusern mit den typischen Reetdächern abspielt.

Das autarke Dasein an diesem abgelegenen Ort ist ruhig – und doch werden wir auch Zeug:innen von äußerst dynamischen Momenten, etwa wenn eine Gruppe von Frauen beisammensitzt und plaudert oder wenn mit großer kollektiver Belustigung Gesellschaftsspiele gespielt werden. Miyama – Kyoto Prefecture macht sichtbar, wie in dieser Region mehrere Generationen (zusammen-)leben, wie Tradition und Moderne dadurch miteinander verwoben sind und wie die Jüngeren versuchen, sich im Einklang mit den Älteren eine eigenständige Existenz aufzubauen.

In diesem Kontext wird der Deutsche Uwe Walter zu einem besonderen Protagonisten des Films, der seit 30 Jahren mit seiner Frau Mitsuyo in der Gegend lebt. Uwe stammt aus dem Ruhrgebiet und pflegt nun mit Hingabe seinen Nutzgarten, auf dem er – wie viele in Miyama – Reis anbaut. Von den Alteingesessenen wird Uwe eher als Außenseiter betrachtet. Es wird jedoch erkennbar, dass er sich in die dörfliche Gemeinschaft integriert hat. Er verfügt über einen Hintergrund als Musiker und Artist; bei einem Workshop hörte er einst den Klang einer Shakuhachi, woraufhin er nach Kyoto reiste, um dort das Spiel auf der Bambusflöte zu erlernen. Auch dem traditionellen Nō-Theater ist er seit langer Zeit überaus zugetan. Mit Leidenschaft beteiligt er sich an den Vorbereitungen des jährlichen Gion-Festes.

Am Vortag dieses Festes erfährt Uwe indes, dass es zu baulichen Veränderungen in der Umgebung kommen wird. „Es beginnt ein neuer Abschnitt“, stellt er fest – und fügt hinzu: „Mal gucken, was da kommt…“ So erreicht letztlich auch diesen abgeschiedenen Ort eine gewisse Unruhe und verlangt den Menschen eine Anpassung ab. Die Bilder, mit denen Komers seinen Film enden lässt, machen allerdings deutlich: Etwas von dem, was war und ist, wird immer bleiben – und das Neue wird sich mit dem Alten verbinden.

Miyama, Kyoto Prefecture (2022)

Kein anderer Gelsenkirchener dürfte je den Nō-Gesang und das Spiel der Shakuhachi-Flöte so authentisch beherrscht haben wie Uwe Walter. Seit drei Jahrzehnten lebt er im Bergdorf Miyama nördlich von Kyoto und tut es den Ortsansässigen gleich – ob sie ihren Lebensunterhalt nun auf dem Feld, mit der Viehzucht oder der Jagd bestreiten. Man bestellt seinen Garten, repariert Zäune, um Makaken fernzuhalten, und baut den eigenen Reis an. Uwe ist zum perfekten Japaner geworden, eins mit seiner Umgebung. (Quelle: DOK Leipzig 2022)

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