Mitgift - Ostdeutschland im Wandel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dicke Luft und langer Atem

Helmut Kohls Wendung von den blühenden Landschaften sind längst zum geflügelten Wort geworden – wahlweise und je nach Perspektive illustriert sie den Fortschritt der Entwicklung in den neuen Bundesländern oder auch die Stagnation in einzelnen Gegenden, die Probleme mit dem Wegzug der jungen, gut ausgebildeten Leute und das Ausbluten ganzer Regionen. Roland Blums Langzeitdokumentation Mitgift – Ostdeutschland im Wandel, die insgesamt über einen Zeitraum von 23 Jahren reicht, beschäftigt sich zwar in erster Linie mit dem Umweltschutz, darüber hinaus aber versteht es der Film, ein Bild des Wandels nachzuzeichnen, das unterm Strich ein positives Fazit zieht. Leider weiß aber die mit journalistischer Akribie betriebene Langzeitstudie dramaturgisch nicht recht zu überzeugen.
Zwischen dem 3. Oktober 1989, rund einem Monat vor dem Fall der Mauer, und dem 3. Oktober 1990 bereiste Roland Blum im Auftrag des ZDF als Kameramann die damalige DDR und war entsetzt über den Zustand der Industrieanlagen, die mit bloßem Auge als reinste Dreckschleudern zu erkennen waren. Insbesondere in der Region um Bitterfeld, Zentrum der chemischen Industrie der DDR, war es offensichtlich, dass Umweltschutz im Arbeiter- und Bauernstaat keinerlei Wert gehabt hatte. Die Vorgaben der Fünfjahrespläne und das verzweifelte Bemühen, mit dem Westen wirtschaftlich mithalten zu können, hatte offensichtlich dafür gesorgt, dass jegliche Skrupel hintangestellt wurden. Auf diese Weise war es offensichtlich für den Filmemacher, dass die Altlasten nach der Wiedervereinigung eine schwere Hypothek sein würden, die es zu beseitigen galt. Unter den Anlagen, die Blum auf seinen Reisen in das vertraute und doch unbekannte Land dokumentierte, befand sich übrigens auch eine Filmfabrik, die den sogenannten Silbersee mit giftigen Abwässern förmlich flutete – und das in unmittelbarer Nachbarschaft zu Menschen, die dort zum Teil seit vielen Jahren lebten. Die enorme Schadstoffbelastung war zum Teil schon beim Vorbeifahren erfahrbar, wenn die Augen zu brennen begannen und sich ein salziger Geschmack auf die Zunge legte. Bei Gartenpartys um Bitterfeld herum geschah es nicht selten, dass die Feinstrumpfhosen der Damen danach Löcher hatten, weil die hochgiftigen Partikel in der Luft das Gewebe angriffen. Mit anderen Worten: Zu Zeiten der Wende war die DDR nicht nur wirtschaftlich und gesellschaftlich, sondern vor allem auch ökologisch am Ende. Und auch das, so klingt es zumindest zwischen den Zeilen durch, war einer der Gründe für den wachsenden Widerstand der Menschen gegen das Regime.

Diese Beobachtungen aus der Zeit des Endes der DDR führt Blum weiter, in den Jahren 2000 und 2013 reist er abermals an die Orte und zu den Menschen, die er damals besuchte und denen er begegnete. Auch ohne den eindringlichen, mitunter zu ausführlichen und recht subjektiv geratenen Off-Kommentar glaubt man ihm, dass die Bilder von damals sich ihm tief eingegraben haben. Insofern ist die Idee, im Laufe der Jahre und Jahrzehnte den Veränderungen nachzuforschen, schlüssig und an vielen Stellen auch augenfällig. Schade nur, dass aber aufgrund der ständigen Erklärungen die eindrucksvollen Bilder nicht ihre ganze Wirkung entfalten können.

Allerdings lässt der ambitionierte, aber zu lang geratene Film an vielen Stellen eine Struktur vermissen, gedrängt und beinahe atemlos folgt Information auf Information, während eine räumliche Verortung vor allem den Zuschauern schwer fallen dürfte, die nicht aus der Gegend stammen und die mit der Geographie nicht vertraut sind. Wenn sich Umweltsünde an Umweltsünde reiht, dann ist das zwar durchaus interessant und bisweilen auch ziemlich erschreckend, allerdings stellen sich nach der Hälfte des Filmes beinahe zwangsläufig leichte Ermüdungserscheinungen ob der schieren Informationsflut ein.

Eine weitere strukturelle Klammer bilden neben der Orte auch die Menschen, denen Blum (wieder)begegnet. Einer dieser Menschen ist beispielsweise der Biologe Michael Succow, der 1990 stellvertretender Minister für Umweltschutz war und der in der Zwischenzeit mit dem alternativen Nobelpreis für sein Umweltengagement ausgezeichnet wurde. Leider sind nicht alle Biographien und Lebenswege gleichermaßen interessant geraten, eines aber verdeutlichen sie ebenso wie die Gegenüberstellung von Vergangenem und Gegenwärtigem: Zwar hat sich vieles gebessert seit den Tagen des Endes der DDR. Doch an der Mitgift, die damals mit in die Wiedervereinigung eingebracht wurde, tragen die Menschen und die Umwelt noch heute.

Mitgift - Ostdeutschland im Wandel

Helmut Kohls Wendung von den blühenden Landschaften sind längst zum geflügelten Wort geworden – wahlweise und je nach Perspektive illustriert sie den Fortschritt der Entwicklung in den neuen Bundesländern oder auch die Stagnation in einzelnen Gegenden, die Probleme mit dem Wegzug der jungen, gut ausgebildeten Leute und das Ausbluten ganzer Regionen.
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