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Mit „Millennium Mambo“ schuf Hou Hsiao-hsien im Jahr 2001 einen Film über Leerstellen, Gegenwartsnostalgie und Japan als Sehnsuchtsort.

Millennium Mambo (2001)

Eine Filmkritik von Kai Hornburg

Jugend ohne Erinnerung

Ab dem 21. September wird „Millennium Mambo“ erstmals in einer 4K-Restauration in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen sein. Das Frühwerk des renommierten Regisseurs Hou Hsiao-hsien feierte bereits 2001 seine Premiere in dessen Heimat Taiwan. Neben regulären Kinoauswertungen in Spanien, Italien und Frankreich, lief der Film in Europa lediglich auf vereinzelten Filmfestivals, unter anderem auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, wo „Millennium Mambo“ um die Goldene Palme konkurrierte.

Vicky (Shu Qi), eine junge Frau im Taipeh der frühen 2000er, steht zwischen zwei Männern. Der junge Hao-hao (Tuan Chun-hao) ist krank vor Eifersucht und überprüft regelmäßig ihre Telefonrechnung, ihr Portemonnaie und sogar ihren Körpergeruch nach Hinweisen auf eine Affäre. Jack (Jack Kao), ein lokaler Gangster, bildet dessen komplettes Gegenteil: Er ruht in sich, bietet Vicky eine Zuflucht vor ihrem eifersüchtigen Freund und ermöglicht ihr Momente der Einkehr in ihrer chaotischen Nachtexistenz.

Zwischen der Wohnung von Hao-hao und dem Nachtclub, in dem sie arbeitet und feiert, zieht Vickys Leben endlose Wiederholungsschleifen. Nächtliche Eskapaden, Beziehungsstreits, Versöhnungssex und Herumhängen machen ihren Alltag zu einem Ablauf einer bloßen Reihung. Zwischen irreparabler Langeweile und wütenden Gefühlsausbrüchen kommt sie nie zur Ruhe, pendelt beständig zwischen den Extremen, ohne die Konflikte mit ihrem Freund nachhaltig auflösen zu können.

„Die heutige Jugend wird von plötzlichen Gefühlsausbrüchen geschüttelt, bevor sie wieder zur Ruhe kommt. Um diese sehr schnelle Entwicklung der Affekte und den sich wiederholenden Vorgang von Anspannung und Entspannung filmen zu können, schien es mir, dass ich mit der Lupe arbeiten und alles vergrößern musste“, so Hou Hsiao-hsien.

Fast der gesamte Film ist eine Bewegung durch Innenräume – sei es der Nachtclub oder die Wohnungen von Hao-hao und Jack. Kameramann Mark Lee Ping-bing, der sich unter anderem durch die Mitarbeit an Wong Kar-Weis In the Mood for Love (2000) auszeichnete, verfolgt das Geschehen über anspruchsvolle Kamerabewegungen, die gerade in den dunklen Nachtclubszenen Lichtflecken und verstellte Perspektiven geschickt nutzen, um die Figuren einzurahmen. Unscharfe Vorder- und Hintergründe, die zu einem abstrakten Farbspektrum zerlaufen, setzten Kontrastpunkte zu den scharf gestellten Figuren, die torkelnd durch die Wiederholungsschleifen ihres Alltags streifen.

Millennium Mambo ist ein Film der Leerstellen. Leerstellen, die das rudimentäre, ohne vorgeschriebene Dialoge auskommende Drehbuch lässt. Diese werden indes nur selten mit Sinn, mit narrativen Werten aufgefüllt. Stattdessen herrscht auch hier die Wiederholung. All die Streitigkeiten – mal zwischen verschiedenen Männern um Vicky, mal zwischen Vicky und ihren Männern, – bieten keine neuen Erkenntnisse.

Das Muster wird doch ziemlich schnell klar. Durch die rückblickende Erzählerstimme von Vicky werden verschiedene Ereignisse des Films zudem vorweggenommen, aber perspektivisch nicht neu beleuchtet. Alles trifft so ein, wie es die Erzählerstimme vorhersagt. Dadurch entsteht lediglich eine Dopplung, nicht aber eine Reflexion über die Erinnerung der Protagonistin.

Sie ist die Erzählerin ihrer eigenen Geschichte und dabei in zweierlei Hinsicht entrückt. Zum einen erzählt sie von sich selbst in der dritten Person, wird somit gleichsam zu einer Beobachterin ihrer selbst. Zum anderen schildert sie die Ereignisse von 2001 rückblickend aus dem Jahre 2011. Jedem Augenblick haftet dadurch bereits der Makel der Vergänglichkeit an. Zugleich ist es eine Selbstdistanzierung des Filmes: Er distanziert sich vom rauschhaften und zugleich unsagbar öden Alltag Vickys, indem er ihn bereits in der erzählten Gegenwart für vergangen erklärt.

So stellt sich ein paradoxes Gefühl von Gegenwartsnostalgie ein– eine Art Sehnsucht, dem flüchtigen Augenblick irgendwie habhaft zu werden, ehe er im Strom der Zeit entschwindet. Einer Sehnsucht also auch danach, die Zeit stillstehen zu lassen: Wo in der Wirklichkeit jeder Augenblick schon im Akt der Betrachtung zur Vergangenheit zerflossen ist, kann das Kino einschreiten, sich zum Meister der Zeit aufschwingen und Augenblicke zu Ewigkeit werden lassen. In den Wiederholungsschleifen, die Vicky Nacht für Nacht durchlebt, erstarrt die Zeit in ewiger Sehnsucht.

Die Szenen in der alten Bergbaustadt Yubari im japanischen Hokkaidō, die nach der Schließung der Schächte zu einer Museumsstadt mit Filmfestival umgestaltet wurde, bilden eine willkommene Abwechslung zu den neon-durchfluteten, nächtlichen Ausflügen in Taipeh. Sie sind ein Gegenpol der Stille und Ruhe zu den lauten, lichtverpesteten Nachtclubszenen, aber auch zum konfliktreichen Alltagstrott, den Vicky in ihrer Heimat erlebt – ein Kontrast zur „Erinnerungslosigkeit der heutigen Jugend“, wie es Hou selbst beschreibt.

Japan wird als Sehnsuchtsort lesbar, als Ausflucht aus der tropischen Hitze Taipehs, den Lichtern, dem Lärm und den chaotischen Gefühlen. In Yubari erleben wir Vicky gelöst, befreit von der Schwere kreisender Gedanken, vor allem befreit von den Frustrationen der heimatlichen Gegenwart. Japan ist Vergangenheit und Zukunft zugleich, Zielpunkt unbestimmter Sehnsüchte und rosiger Erinnerungen. Yubari ist der Ort, an dem Vicky innehalten kann, wo der Schnee lautlos fällt – und wo Vergangenheit und Gegenwart sich zu einer vagen Idee von Zukunft verschmelzen.

Millennium Mambo (2001)

Vicky ist hin- und hergerissen zwischen zwei Männern: Hao-hao und Jack. Abends arbeitet sie in einem Nachtclub. Hao-hao überwacht jeden ihrer Schritte, überprüft alles, was er finden kann, sogar ihr Parfüm.

Vicky bricht aus und flüchtet zu Jack, der ihr Halt und Geborgenheit gibt. Doch Hao-hao hat sie schnell gefunden und fleht sie an, zu ihm zurückzukehren. Vicky fasst einen Entschluss: Wenn das Geld auf ihrem Bankkonto aufgebraucht ist, dann soll auch ihre Liebe enden..
 

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