Log Line

Die Dokumentarfilmerin Hnin Ei Hlaing führt uns die verworrene Lebenswelt zweier mutiger Hebammen in Myanmar vor Augen.

Midwives (2022)

Eine Filmkritik von Patrick Torma

Oh, wie komplex ist Myanmar

Mystisch ragen Myanmars markante Tempel aus dem Dunst hervor. In einer kargen Dorfklinik ringen Hebamme Hla und ihre Assistentin Nyo Nyo um ein neues Leben. Es ist eine komplizierte Geburt. Das Neugeborene versagt den ersten Atemzug. Sorgenvolle Blicke, beherzte Druckmassagen. Schließlich der erlösende Schrei. Für einen Moment steht die Zeit still, in einem Land, das nicht zur Ruhe kommt.

Lange abgeschottet von der Welt liegt Myanmar, das ehemalige Burma, im Schatten seiner südostasiatischen Nachbarn. Erst 2011 setzt die Demokratisierung ein und damit für viele Menschen die Zuversicht. Sie keimt gerade mal ein Jahrzehnt: Im Februar 2021 putscht sich eine Militärjunta zurück an die Macht. Die Bilder von Soldaten, die mit scharfer Munition auf Zivilisten schießen, gehen um die Welt.

Ein Randthema bleibt das Schicksal der vorwiegend muslimischen Rohingya. Und das, obwohl die UN diese Volksgruppe als die „am stärksten verfolgte Minderheit der Welt“ einstuft. In einem Land, das mehrheitlich den Lehren Buddhas folgt, werden die Rohingya immer wieder als Gefahr für die nationale Einheit gebrandmarkt und systematisch verfolgt. Die Regierung erkennt 1982 offiziell ihren Anspruch auf die burmesische beziehungsweise myanmarische Staatsbürgerschaft ab.

2016 eskalieren die Spannungen im westlichsten Teilstaat Myanmars, Rakhaing. Als Reaktion auf Angriffe durch Rohingya-Rebellen setzt das Militär zu „ethnischen Säuberungen“ an: Dörfer werden dem Erdboden gleichgemacht, zehntausende Rohingya getötet, eine Million Menschen fliehen.

Midwives, auf dem Sundance Festival 2022 mit dem World Cinema Documentary Special Jury Award ausgezeichnet, setzt kurz danach ein: Die Exzesse sind vorerst vorbei, das Zusammenleben und der Umgang in Rakhaing jedoch nach wie vor von Ressentiments geprägt. Umso bemerkenswerter ist die Geschichte von Hla und Nyo Nyo: Hla ist Buddhistin und Betreiberin einer kleinen Klinik, die sich, wie man im Reiseführersprech sagen würde, deutlich von westlichen Standards unterscheidet. Indem sie Nyo Nyo, eine Muslima, als Hebamme und Übersetzerin beschäftigt, geht sie das Risiko ein, als Unterstützerin von „Terroristen“ ins Visier zu geraten.

Regisseurin Hnin Ei Hlaing wuchs selbst in der Gegend auf. Als Kind schien es ihr, als lebten Buddhisten und Muslime friedlich Seite an Seite. Als sie von dem Aufflammen der Konflikte erfuhr, kehrte sie in ihre Heimat zurück, um die Gründe für den Hass und die Gewalt zu erfassen. Dabei traf sie auf die beiden Frauen, die sie über mehrere Jahre hinweg mit der Kamera begleitete.

Midwives ist das eindrucksvolle Porträt einer komplexen Beziehung, die vor dem Hintergrund politischer Instabilität und sozialer Ungleichheit zwischen Freundschaft und Abhängigkeitsverhältnis, Nächstenliebe und Eigennutz oszilliert. Wirkt es anfangs so, als sei Hlas Provinzlazarett der letzte Hafen der Menschlichkeit, fördert der Zeitraffer bald schon erste Risse zutage. Unter dem Eindruck behördlicher Schikane und leicht zu goutierender Pop-Propaganda aus den Regionalmedien wird Hlas Ton gegenüber Nyo Nyo rauer. Die wiederum kapselt sich nach und nach ab, um eigene Träume zu verwirklichen.

Mit reichlich Einfühlungsvermögen gelingt es Ei Hlaing, sehr intime Momente einzufangen. Als Erzählerin nimmt sie sich zurück, für den — nicht immer klaren — Kontext sorgen Texttafeln, Nachrichtenschnipsel und Social-Media-Clips. Zu Wort kommen beinahe ausschließlich die Menschen vor der Kamera. Sie äußern Wut und Unverständnis, flüchten sich in Galgenhumor und lassen sich zeitweise von der Resignation „übermannen“. Buchstäblich: Midwives thematisiert auch den Kraftakt, der dem Frausein (nicht nur) in dieser Region innewohnt.

So kämpft Nyo Nyo als Angehörige der verfolgten Rohingya nicht nur um ihre Existenz sondern auch um eine Selbstverwirklichung in patriarchalischen Strukturen, die für sie die Rolle der umsorgenden Mutter und Ehefrau vorsehen. Und auch Hla erkennt, dass sie mehr mit ihrer Angestellten gemeinsam hat, als ihr die ideologischen Scharfmacher glauben machen wollen. Eine Erkenntnis, die Anlass zur Hoffnung gibt.

Midwives (2022)

Der Dokumentarfilm „Midwives“ begleitet zwei Hebammen im Westen Myanmars – eine Buddhistin und eine Muslima – die ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeiten in einer improvisierten Klinik zusammenarbeiten und den Rohingya im Rakhine State medizinische Hilfe leisten. Über mehrere Jahre beobachten wir sie bei ihren täglichen Herausforderungen, aber auch bei ihren Hoffnungen und Träumen inmitten eines Umfelds, in dem Chaos und Gewalt stetig wachsen. (Quelle: jip film & verleih)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen