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„Men“, der neue Film von Alex Garland, spaltet die Meinung. Während Matthias Pfeiffer eine Leere hinter den wohl komponierten und extremen Bilder kritisiert, lobt Sarah Stutte den Film in der Gegenrede als atmosphärisch berauschende und surrealistische Parabel auf toxische Männlichkeit.

Men - Was dich sucht, wird dich finden (2022)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Misogyne Idylle

Mit dem Apfel fängt das Unheil an! Wie Harper (Jessie Buckley) relativ zu Beginn des Films die Frucht eigenmächtig vom Baum pflückt und genüsslich verspeist, ist schon eine sehr offensichtliche Erbsündenanspielung. Und eine gewisse Schuld trägt diese Frau mit sich herum – jedenfalls glaubt sie das manchmal. Ihr Mann stürzte sich aus dem Fenster, nachdem er die Scheidung nicht akzeptieren wollte. Direkt verantwortlich ist sie für den Suizid eigentlich ja nicht, aber sie selbst kann sich davon nicht überzeugen. Um zur Ruhe zu kommen, mietet sie sich ein Landhaus in der englischen Provinz, das ihr auch sofort zusagt. Ja, der Vermieter Geoffrey (Rory Kinnear, der auch sonst alle Männer des Dorfes spielt) ist ein wenig kauzig, aber so ist das hier nun einmal.

Man merkt, Men vereint schon zu Anfang etliche bekannte Horror-Bauteile, von der angeblichen Idylle bis zum merkwürdigen Einheimischen. Alex Garland (Ex Machina, Auslöschung) errichtet sein Gebäude nun allerdings auf einem Grundstein, der seit Jahren für Diskussionen sorgt: der toxischen Männlichkeit.

Von der merkt der Zuschauer in diesem Hinterland zunächst wenig. Ihm wird üppiges Grün und harmonische Natur präsentiert. Harper scheint hier also wirklich die Quelle eines neuen Lebens gefunden zu haben. Dann steht auf einmal die Bedrohung vor ihr, in Gestalt eines nackten Mannes. Wenn man bedenkt, was dieser Film anprangern will, ist das etwas stumpf, jedoch auch bizarr genug, um die Neugier auf den weiteren Verlauf zu wecken. Der verwirrte Exhibitionist wird festgenommen, doch auch die weiteren Begegnungen sind für Harper verstörend. Das Dorf scheint in erster Linie aus Männern zu bestehen und auch noch aus solchen, die ungeniert die negativen Seiten ihres Geschlechtsbildes nach außen kehren. Und immer mehr verdichten sich die Zeichen, dass sich hier Verschwörung zusammenbraut. Oder ist da etwas anderes, etwas in Harper selbst, das ausbrechen will?

Das große Plus von Men zeigt sich ziemlich schnell. Nämlich das gute Auge, das Garland für starke Bilder hat. Wie er die Natur, alte Gemäuer, Statuen inszeniert, lässt schnell das Gefühl aufkommen, dass hinter der Schön- und Erhabenheit etwas Mystisches lauert, eine unbenennbare Gefahr. Auch der Aufbau der Handlung in der ersten Hälfte fängt einen sofort ein. Alles steuert auf großes Unheil zu, wie es genau aussehen soll, will man unbedingt wissen, kann es jedoch nur finster erahnen. Hinzu kommt die grandiose schauspielerische Leistung von Jessie Buckley und Rory Kinnear. Die Darstellungen von Letzterem grenzen zwar mitunter an die Karikatur, zum Beispiel wenn es um den Pfarrer geht, der seine erotischen Gelüste mehr schlecht als recht unterdrückt, doch dadurch bekommt Men einen interessanten Schwenk ins Groteske.

Dieses Groteske explodiert jedoch im letzten Drittel, womit wir schon bei den Schwächen dieses Werkes wären, die es leider auch beherrschen. Was sich langsam und atmosphärisch aufbaut, ergeht sich immer mehr in einem Psycho- und Körperhorror-Zirkus. Im Home Invasion-Gewand bekommt man schließlich ein Spektakel geboten, von dem man nicht so recht weiß, was man von ihm denken soll. Da sieht man eine ekelhaft-detaillierte Szene mit einem Unterarm und einem Küchenmesser und als Grande finale eine surreale Orgie an blutig-schleimigen Geburten. In einem anderen Film hätte das sicher seinen Reiz, hier jedoch scheinen die Effekte die Aussage zu verdecken. Schlimmer noch, sie verdecken, dass es keine befriedigende Aussage gibt.

Alles in allem steuert Men auf die Feststellung zu, dass Männer eben böse Dinge tun. Was wirklich toxische Männlichkeit oder weibliche Selbstermächtigung ist, schwebt irgendwo schleierhaft im Raum herum. Kurz gesagt, man bekommt etwas präsentiert, das man schon längst kennt. Der wirkliche Ansatz zum Weiterdenken geht im Trubel verloren. Egal, welche Qualitäten sich in diesem Film zeigen, am Ende ist er doch so simpel gestrickt, dass man zwar seinen Spaß hat, doch insgeheim enttäuscht ist.

Men - Was dich sucht, wird dich finden (2022)

Eine Filmkritik von Sarah Stutte

Drastischer Perspektivwechsel

Am Anfang scheint es, als ob Feuertropfen vom Himmel fallen. Der Regen und die Wohnung, in die uns die Kamera mitnimmt, sind von rötlichem Licht durchflutet. In der Küche steht eine Frau, regungslos, physisch und psychisch verletzt. Langsam löst sie sich aus ihrer Starre und setzt sich in Bewegung. Als sie an die offene Balkontür tritt, um diese zu schließen, stürzt ein Mann an ihrem Fenster vorbei in den Tod. Ein Augenblick des Erkennens in Zeitlupe.

Die Frau, Harper (Jessie Buckley), hatte zuvor ihre kontrolliert-missbräuchliche Beziehung beendet. Der Mann, James (Paapa Essiedu), war ihr Partner. In Rückblenden, die über die gesamte Geschichte verstreut sind, werden die komplexen Zusammenhänge dieses Todes deutlich. Erst einmal fährt Harper jedoch aufs Land, um sich von dem erlebten Trauma zu erholen. Hier hofft sie, in einem Cottage und in malerischer Umgebung, wieder zu sich selbst zu finden. Doch von diesem Ort und vor allem seinen Bewohnern geht eine seltsam unangenehme Präsenz aus. Das gilt nicht nur für den Hausbesitzer Geoffrey (Rory Kinnear), der die Äpfel im Garten als verbotene Früchte bezeichnet. So gibt der herablassende Pfarrer Harper lächelnd die Schuld am Tod von James, während er die Hand auf ihr Knie legt. Der örtliche Polizist rollt dagegen mit den Augen, als die junge Städterin ihre Sorge darüber äußert, dass sie von einem nackten Stalker terrorisiert wird.

Alex Garlands (Ex Machina, Auslöschung) neuestes Werk ist eine genauso faszinierende wie verstörende Mischung aus Science-Fiction und Horrordrama. Men handelt, aufs Wesentliche reduziert, von männlicher Unterdrückung und weiblicher Selbstbehauptung. Er zeigt die Auswirkungen von Aggressionen gegenüber Frauen im realen Alltag, die hier in einem Mikrokosmos kulminieren, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Das verdeutlicht sich auch in den kraftvollen, traumwandlerischen Bildern des Kameramanns Rob Hardy, der die Wälder in übersättigten Farben leuchten lässt oder einen fliegenden Löwenzahn-Samen einfängt, der vom Wind davongetragen wird. Selbst die erdigen Klanglandschaften von Ben Salisbury und Geoff Barrow sind in ihren Momenten genauso real wie imaginär.

Durch einen dramaturgischen Kunstgriff – sämtliche Männerfiguren des Dorfes werden von Rory Kinnear gespielt – wird hier die Gleichförmigkeit der männlichen Charaktere und ihrer vornehmlich negativen Eigenschaften als universelle Wirklichkeit und gleichzeitig persönliche Reaktion dargestellt. In diesem Lebensraum bewegt sich Harper. So sieht sie ihn, geprägt von ihren Erfahrungen und Erinnerungen – fantastisch, aber dennoch eine wesentliche Wahrheit enthaltend. Die Begegnungen im Film verdeutlichen, wie Skepsis, Ablehnung und Opferbeschuldigung den Nährboden für Unterdrückung schaffen. Harpers Ängste sind nicht erfunden oder nur in ihrem Kopf; der Horror entsteht durch die kollektive Weigerung, ihre Sorgen ernst zu nehmen. Visualisiert wird dieser Schrecken anfangs noch stark im Stile des Volkshorrors eines The Wicker Man. Dazu passt auch die biblische Allegorie auf den Garten Eden.

Nicht nur der Apfel am Baum oder das schuppige Schlangenhautmuster an der Decke des Waldtunnels spielen auf den Sündenfall an. Kurz nachdem Harper das Obst gegessen hat, beginnen die übernatürlichen Ereignisse um sie herum zu eskalieren. Die Ursünde begründet das unheilige Schicksal der Menschheit. Wir alle sind seitdem in unserer eigenen Freiheit vorbelastet und in bestimmten Mustern gefangen – Frauen genauso wie Männer. Für Garland war der Ausgangspunkt für Men ein altes Stück heidnischer Ikonografie, das in Europa als Grüner Mann bekannt ist. In mittelalterlichen Kirchen stellt es als Zierelement an sakralen Bauten ein männliches Gesicht mit Blättern dar, die aus seinem Mund ragen oder sich mit seinem Bart verflechten. Im Film ist diese Figur auf der Vorderseite eines Taufbeckens zu finden. Auf dessen Rückseite prangt jedoch noch ein anderes Symbol, das den Regisseur inspirierte.

Es zeigt eine Frau, die ihre Genitalien zur Schau stellt. Diese als Sheela-na-Gig bekannten mysteriösen Schnitzereien lassen sich heute in Irland und Großbritannien vor allem noch an den Außenwänden von Kirchen, Burgen und Gebäuden finden. Garlands volkstümliche Horrorgeschichte spricht damit auf Urängste an, welche die Beziehungen zwischen den Geschlechtern bis zurück zu den Stammeltern beeinflusst haben und den Weg zur Verständigung erschweren.

Das Grauen entlädt sich hier schließlich in einer Cronenberg’schen Szenerie, als sich die wiedergekäute Männlichkeit mehrmals selbst gebiert. Trotz aller Metaphern werden diese jedoch zum Ende hin abstrakter und offener für Interpretationen. Das zeigt, dass Men nicht versucht, die komplexen Grauzonen des Geschlechts und der Identität vollständig verstehen zu wollen. Der Kern dieses exzellent gespielten Films liegt darin, auf einer gleichwertigen Ebene menschliche Gefühle wahrzunehmen.

Men - Was dich sucht, wird dich finden (2022)

Nach einem traumatischen Erlebnis fährt Harper allein in die idyllische englische Landschaft, um dort Heilung und Frieden zu finden. In der dörflichen Abgeschiedenheit trifft sie auf eine sonderbare Herrenrunde, die sie gastfreundlich, aber mit schrägen Untertönen aufnimmt. Doch jemand scheint Harper zu verfolgen, ihr aus den umliegenden Wäldern aufzulauern. Aus Harpers Unbehagen wird ein grimmiger Alptraum. 

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