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Ein grauer Bankangestellter will auf einmal ans Theater. Aber nur eine Person ist darüber so glücklich wie er.

Mein Vater, die Wurst (2021)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Der größere Mut der Tochter

Was ist eigentlich Schauspielkunst? Shakespeare, Molière oder doch die Wurst, pardon, der wurstförmige Fleischersatz im Werbespot? Er könne das nicht, sagt Zoës Vater Paul, er sei doch für die große Bühne gemacht! So windet er sich, um dann doch hervorzubrechen: Er traut sich einfach nicht. Tochter: Wutschnaubend ab.

Es ist Pauls erstes Engagement, bei einem Vorsprechen hatte er zwar nicht ganz überzeugen können, aber diese Empfehlung ist dabei herausgesprungen. Und nun steht er da im Wurstkostüm, der Reißverschluss klemmt, er kann nicht aus seiner Pelle und nicht aus seiner Haut — und macht es dann doch, denn Zoë (Savannah Vandendriessche) ist kurzentschlossen für sein Gegenüber eingesprungen: Da machte der Schauspieler Theater, weil er die Motivation des Gemüsebällchens nicht durchdringen könne.

Bis vor kurzem hat Paul (Johan Heldenbergh) noch in einer Bank gearbeitet, dann knallte und rauchte es in seinem Taschenrechner, „ein zweiter Urknall“, so nennt seine jüngste Tochter das, die zugleich Subjekt und (aus dem Off) Erzählerin dieser Geschichte ist, danach wird also alles neu: Er will Schauspieler werden, und zwar sofort. Anouk Fortuniers Debutfilm Mein Vater, die Wurst schaut sich erst einmal die Folgen dieses Urknalls an: die Expansion der Welt, die gleichzeitig Pauls Familie ziemlich durcheinander wirbelt.

Zoës ältere Geschwister sind nämlich, konservativ wie Kinder so sind, nicht einverstanden: Fien macht sich lieber stundenlang für ihren Geigenlehrer hübsch, Kas bereitet sich im Keller auf Apokalypse und Atomkrieg vor – da hat man weder Zeit noch Geduld für solche väterlichen Sperenzchen. Und Ehefrau Véronique (Hilde De Baerdemaeker) erfährt von alldem sowieso mit Verspätung, sie ist dauernd in China, Pralinen verkaufen für die Firma ihres Vaters.

Paul und Zoë sind deshalb erst einmal Kompliz_innen, gemeinsam machen sie Schauspielkurse, erste Vorsprechtermine – er erfindet gegenüber der Schule etwas vom „West-Nil-Virus“, und das geht eben so lange gut, wie Véronique wieder in China ist.

Mein Vater, die Wurst könnte eine platte Komödie über eine Midlife-Crisis sein oder eine pathetische Selbstfindungsschnulze, aber der Film ist keins von beidem. Stattdessen schaut er seinen beiden Hauptfiguren bei der Selbstfindung zu, die gar nicht so einfach ist. Natürlich ist Zoë nicht begeistert, als ihr Vater ihr seine Schwäche, seinen mangelnden Mut gesteht – aber, und das zeigt sich erst schrittweise und ein wenig später, sie suchen beide nach neuen Kräften.

Und so ist die Auflösung dieser so unscheinbar wirkenden Komödie dann zwar vielleicht minimal schmalzig, aber eben doch so freundlich wie auf ein lebensnahes Maß heruntergeholt: Die jüngste Tochter nimmt ihren Mut zusammen, der Vater spielt zwar keine Hauptrollen im Theater, aber versauert auch nicht mehr im 17. Stock der Bank. Und auch der Rest der Familie macht ein paar Ausfallschritte in neue Richtung… Pralinen mit dem Geschmack von Abenteuer.

Dem Film (nach einem Drehbuch von Jean-Claude Van Rijckeghem) gelingt es dabei, einen Hauch von erwachsenem Drama zu verströmen, während er eigentlich der phantasievollen Elfjährigen beim Wachsen zuschauen möchte. Der Blick schweift immer wieder zum Vater, aber dann übernimmt doch Zoë wieder die Erzählerstimme, zeigt dazu animierte Collagen und gibt der ganzen Geschichte Überbau und Ziel.

Ganz ehrlich: Ohne unsere Kinder würden wir uns solche Sachen womöglich gar nicht trauen.

Mein Vater, die Wurst (2021)

Zoë (11) kann es nicht fassen, als ihr Vater verkündet, dass er seinen Job in einer Bank hingeworfen hat, um Schauspieler zu werden. Während ihre Geschwister und ihre Mutter glauben, er sei verrückt geworden, nimmt nur Zoë den Traum ihres Vaters ernst und unterstützt ihn. Doch als Zoës Mutter herausfindet, dass der Vater eine riesige Wurst in einem Werbeclip spielen soll und Zoë die Schule geschwänzt hat, um ihrem Vater bei seinem irrwitzigen Unterfangen zu unterstützen, gerät das Familiengleichgewicht in Schieflage.

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