Mein Bruder ist ein Einzelkind

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Blutsbande und ideologische Grabenkämpfe

Fünf Donatellos (so der Name des italienischen Filmpreises), mehr als eine Million Zuschauer: In Italien war Daniele Luchettis politische Familiensaga Mein Bruder ist ein Einzelkind / Mio fratello è figlio unico einer der Überraschungserfolge des vergangenen Kinojahres. Dabei ist die Geschichte, die dieser Film erzählt, auf den ersten Blick nicht gerade prädestiniert dafür, das ganz große Publikum zu erreichen: Anhand zweier Brüder erzählt der Regisseur von den politischen und gesellschaftlichen Zerwürfnissen und tiefen Gräben, die Italien ab den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchziehen und die bis heute ihre Spuren in dem Land hinterlassen haben. Wer sich in dieser Vermischung und Verknüpfung von Familienbanden und der großen Politik übrigens an den Film Die besten Jahre / La meglio gioventu von Marco Tullio Giordano aus dem Jahre 2003 erinnert fühlt, liegt gar nicht so falsch, denn in beiden Fällen stammt das Drehbuch, das auf dem Buch Il Fasciocomunisto von Antonio Pennacchi basiert, vom gleichen Autorengespann Stefano Rulli und Sandro Petraglia.
Schon als Kind ist Antonio (als Kind wird er von Vittorio Emanuele Propizio verkörpert, in späteren Jahren nimmt Elio Germano die Rolle ein) ein echter Rebell und Außenseiter, so dass er schnell den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Accio“ (das Ekel) erhalten wird, der ihn im Laufe seines Lebens begleitet. Überall eckt er an, scheitert in der Klosterschule und schließt sich später den Faschisten an – wohl wissend, dass ihn diese Wahl noch mehr zum Außenseiter macht, als er es eh schon ist.

Sein älterer Bruder Manrico (Ricardo Scamarcio) hingegen, ein gut aussehender und charmanter Kerl, sympathisiert nicht nur mit den Linken wie seine Schwester Violetta (Alba Rohrwacher) und seine Eltern (Angela Finocchiaro und Massimo Popolizio), er schließt sich aus voller Überzeugung den Kommunisten an – klar, dass sich damit der sowieso latent vorhandene Bruderzwist mit Accio weiter verschärft und dieser immer mehr zum „Einzelkind“ wird. Und als sich Accio noch in Francesca (Diana Fieri), die Freundin seines Bruder verliebt, verhärten sich die beiden Positionen noch weiter.

Durchweg hervorragend gespielt – Elio Germano gilt nicht zuletzt aufgrund seiner Auszeichnung als einer der besten europäischen Nachwuchsschauspieler auf der Berlinale 2008 als Schauspielhoffnung Italiens – und stimmig inszeniert kann Daniele Lucchettis Film zwar überzeugen. Doch dem ganz großen internationalen Erfolg steht gerade seine Detailversessenheit und Authentizität entgegen: Man muss schon bestens mit den italienischen Verhältnissen vertraut sein, um all die zeitgeschichtlichen Bezüge und Andeutungen zu verstehen und den Film als Gesamtkunstwerk zu begreifen. So dürfte der Film vor allem bei in Deutschland lebenden Italienern und Studierenden der Romanistik auf großes Interesse stoßen. Sie finden hier – ähnlich wie in Die besten Jahre / La meglio gioventu – einen komprimierten Abriss italienischer Geschichte vor, der gleichermaßen unterhält wie informiert.

Wohltuend ist dabei vor allem, mit welch beinahe heiterer Gelassenheit Luchetti und seine beide Drehbuchautoren die extremen politischen Positionen mit Distanz und Humor betrachten, wie überzeugte Faschisten und Kommunisten auf gleiche Weise vorgeführt werden. So viel Abgeklärtheit würde man sich auch von manch anderem Film wünschen, der Politisches unter die Lupe nimmt.

Mein Bruder ist ein Einzelkind

Fünf Donatellos (so der Name des italienischen Filmpreises), mehr als eine Million Zuschauer: In Italien war Daniele Luchettis politische Familiensaga Mein Bruder ist ein Einzelkind / Mio fratello è figlio unico einer der Überraschungserfolge des vergangenen Kinojahres.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Anna · 12.10.2010

Bezaubernd! Man kann über diesem Film gleich gut lachen und weinen. Gutes Schauspiel, interessantes Thema. Gute Laune bis heute.

Giulia Pappalardo · 23.05.2008

Ich liebe diesen Film!!! Da ich diesen Film bereits auf Italienisch besitze, weiß ich noch nicht, ob ich den Weg nach Münster wagen soll und ihn mir auch auf Deutsch anzusehen. Riccardo Scamarcio sieht nicht nur gut aus sondern ist auch noch ein begnadeter Schauspieler