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Philipp Hartmann und Danilo Carvalho spüren in ihrem sinnlichem Essay dem Mangel und Überfluss des Wasser nach, ohne esoterisch zu werden.

Meer werden (2020)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Rauschender Mangel und Überfluss

Meer werden ist ein Poem des Abschieds, der im Kommen ist. Dieses schreckliche Wort Klimawandel fällt an keiner Stelle; schrecklich, weil es in jeder Hinsicht eine Verharmlosung in sich trägt: im Wandel ist da gar nichts. Es ist ein Katastrophe, eine Frage des Zuviel und des Zuwenig. Mit dem Gleichgewicht ist es dahin.

Philipp Hartmann und Danilo Carvalho spüren in ihrem Film dem Wasser nach, denken in Bildern, die sich in der Montage mit Sinnlichkeit füllen und einen eigentümlich morbiden Charme entwickeln. Dithmarschen in Schleswig-Holstein soll nicht länger durch die Deiche geschützt werden. Die Kosten sind einfach zu hoch. Nun sollen die Menschen dem Meer weichen. Viele gehen, einige bleiben bis zum letzten Moment. Das, was in Lützerath den Kapitalinteressen der Kohleindustrie weichen musste, soll hier dem Wasser übergeben werden. Die Natur holt sich etwas zurück. Etwas, von dem wir viel zu lange ohne Scham genommen haben.

Ausgerechnet das Wasser, zu dem wir Menschen eine existentielle Beziehung pflegen, das wir zum Leben benötigen und dessen Kraft wir fürchten. Meer werden meint also: Dithmarschen soll Meer werden. Das ist natürlich Fiktion, die sich hier mit dokumentarischen Bildern verschränkt, ,mit einer Ruhe der Gegebenheiten. Das Wasser fließt, strömt und tänzelt im Licht. Es nährt die Pflanzen, unser Gemüse, schenkt uns das Essen. Doch es wird zu viel.

An einem anderen Ort der Erde herrscht der Mangel. Brasilien. Ein Dort musste einem Stausee weichen. Auch hier hat das Wasser gefressen. Zwei Menschen gehen eine alte Straße entlang, die kaum noch als solche erkennbar ist. Man erzählt sich, wo wer gewohnt hat, als hier noch Häuser standen. Die Kamera fliegt höher und höher, die Menschen werden zu Punkten: Aerial View einer kargen Kartografie. Kein Wasser, es hat nicht geregnet.

In diesen Kontrasten denkt Meer werden, wie es nur ein filmischer Essay tun kann. Die visuelle Kraft des Gegensatzes hat eine große Wirkung: gebannt folgt man dieser Geschichte ohne Narrativ, in der sich Philipp Hartmann und Danilo Carvalho eine Eigenzeit herausnehmen. Sie nähern sich nicht dem Fluss an, was naheliegend wäre. Es fließt viel in diesem Film. Der Film selbst aber macht sichtbar, wird ein Medium des Blicks, durch den diese Kraft des Wassers fließen darf. Die Natur hat ihre eigene Ökonomie, die keinen Kurs kennt. Lächerliche Tiere sind wir Menschen doch, wenn wir zu Meer werden. Das Wunder dieses Films: Von Esoterik keine Spur. So muss essayistisches Kino sein.

Meer werden (2020)

Der essayistische Dokumentarfilm ist ein Nachdenken über das Wasser in seiner Abwesenheit sowie in seinem Überfluss – und damit auch eine kontemplativ-subtile Meditation über den Klimawandel. Dabei kontrastiert und parallelisiert „Meer werden“ die Dürre des nord-ost-brasilianischen Gebiets des Sertão mit der norddeutschen Region Dithmarschen, die zum Teil dem Meer abgerungen wurde und vor Überschwemmungen geschützt werden muss.

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