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Der Antiheld dieser Tragikomödie ist ein israelischer Palästinenser mit ausgeprägter Lebensmüdigkeit. Kann ihn sein neuer Nachbar, ein verschuldeter Ganove, auf andere Gedanken bringen?

Mediterranean Fever (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die Abenteuer eines Melancholikers

Eine tote Frau liegt im Wohnzimmer. Zwei Männer sitzen daneben und schauen zu, wie sie abgeholt wird. Er habe sie gestoßen und dabei getötet, sagt der eine zum anderen. Er rede wirres Zeug, wegen seiner Schlaflosigkeit, beschwichtigt ihn der Sohn der Toten. Mit dieser abgekoppelten Szene beginnt Maha Hajs Film „Mediterranean Fever“. Nie wird in der Handlung, die danach einsetzt, deutlich, ob und wann Waleed (Amer Hlehel) diese Tat wirklich begangen hat oder noch begehen wird. Vielleicht entspringt sie auch nur seiner blühenden Fantasie, die ihm schon die Mutter in seiner Kindheit attestierte. Die Eröffnung etabliert den schwarzen Humor, aber auch die Ambivalenzen, mit denen der Film arbeitet.

In der eigentlichen Handlung geht es um Waleed, einen 40-jährigen Hausmann und Schriftsteller mit Schreibblockade. Er wohnt mit seiner Frau Ola (Anat Hadid) und zwei Kindern in der israelischen Stadt Haifa. Vom Fenster aus kann er aufs Mittelmeer blicken. Ola verdient als Krankenschwester den Lebensunterhalt. Wenn sie tagsüber anruft, kann es gut sein, dass er gerade auf dem Sofa schläft. Waleed geht es von außen betrachtet gar nicht schlecht, aber er hat eine chronische Depression und macht seit Jahren eine Psychotherapie, von der er sagt, dass sie seine Schwermut noch verstärke. Ola nennt den Lebensmüden manchmal entnervt einen Egoisten.

Waleeds neuer Nachbar Jalal (Ashraf Farah) ist dagegen laut und lebenslustig, hält sich aber als nur sporadisch tätiger Handwerker und Kleinganove ebenfalls viel Zuhause auf. Waleed und Jalal beginnen, Zeit miteinander zu verbringen, wobei Waleed erfährt, dass Jalal Männern, mit denen nicht zu spaßen ist, eine hohe Summe Geld schuldet. Wer hätte das beste Motiv, sich selbst zu töten, Waleed oder Jalal? Wer von beiden hätte unter Umständen gar das Zeug zum Auftragskiller? Während sich die Freundschaft der ungleichen Buddys entwickelt, tauschen sie makabre Dialoge aus.

Der zweite Spielfilm der palästinensischen Regisseurin und Drehbuchautorin Maha Haj (Personal Affairs) will todernsten Themen eine spaßige Note abgewinnen. Das gelingt durch die differenzierte Betrachtung: Waleeds Depression ist ernstzunehmen, gleichzeitig dient sie ihm aber auch als Rechtfertigung, seine Unlust und seinen Überdruss ausgiebig kundzutun. Haj erklärt in einem Regiekommentar, dass sie das Thema Depression in diesem Film von der gesellschaftlichen auf die individuelle Ebene übertrage. Der israelische Araber Waleed aus Haifa kenne das vielen Palästinensern vertraute „Gefühl der Gefangenschaft und Enteignung“. Die gesellschaftliche und politische Lage, eine festgefahrene Stimmung der Resignation oder halb erstickter innerer Auflehnung, bildet einen diffusen Hintergrund. Dieser Einfluss kann sich aber jederzeit in beiläufigen Szenen des individuellen Lebens manifestieren. Waleeds Sohn Shams (Samir Elias) leidet an wiederkehrenden heftigen Bauchschmerzen, die einer Ärztin zufolge auf die Erbkrankheit Mediterranes Fieber hindeuten könnten. Allerdings stellt Waleed eines Tages fest, dass eine Erdkundelehrerin und ein Streit darüber, wessen Hauptstadt Jerusalem ist, sein Unwohlsein befördern. In der Sektion Un Certain Regard des Filmfestivals in Cannes 2022 bekam Hajs stimmungsvoller, mit Ambivalenzen spielender Film den Preis für das beste Drehbuch. Er wurde auch als palästinensischer Beitrag für die Oscars 2023 eingereicht.

Viele Szenen des Films zeigen Kleines und Alltägliches, und wenn etwas Gewichtiges passiert, will die Regisseurin sich nicht lückenlos erklären, sondern gibt lieber nur Hinweise auf mögliche Hintergründe. Trotz des oft ironisch-humorvollen Blicks auf die beiden Männer durchzieht den Film eine Melancholie, die Waleeds Zustand angemessen ist. Manchmal sitzen die beiden Freunde auf einer Bank und blicken auf das Meer, als wäre es der Hort aller Sehnsucht. Am Ende, nachdem die Geschichte eine überraschende Wendung genommen hat, kehrt die Kamera zu dieser Bank zurück, die nun verwaist ist.

Haj drehte in den alten, vorwiegend von israelischen Palästinensern bewohnten Stadtvierteln Haifas. Man sieht verfallende Gebäude, etliche Baustellen. Gleichzeitig vermitteln die Straßenzüge einen Eindruck von Geschichtsträchtigkeit und eine Lebendigkeit, die atmosphärisch auch von der Lage am Meer herrührt. So findet sich die Ambivalenz aus Melancholie und Humor, aus Resignation und Frische, die die Handlung prägt, auch in den Schauplätzen wieder. Selbst die beiden Hauptcharaktere besitzen eine Doppelnatur – sie sind symbolische Repräsentanten gesellschaftlicher Probleme, aber eben auch glaubhafte, lebendige Individuen.

Mediterranean Fever (2022)

Protagonist ist der in Haifa lebende Palästinenser und Familienvater Waleed, der von einer Karriere als Schriftsteller träumt, aber an chronischen Depressionen leidet. Eines Tages bittet er seinen neuen Nachbarn Jalal, mit dem er sich in der Zwischenzeit angefreundet hat, ihn gegen Geld zu töten, das Ganze aber wie einen Unfall aussehen zu lassen.

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Meinungen

Stephan · 06.05.2023

Sehenswerter Film!