Marketa Lazarová (Wiederaufführung)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Leben und Sterben im 13. Jahrhundert

In einer Umfrage unter tschechischen Kritikern wurde 1998 ein Werk zum besten tschechischen Film aller Zeiten gewählt, das kaum jemand gesehen hat. Obwohl ein Autor vom A.V. Club es beschreibt als „Game of Thrones, angereichert um Ingmar Bergman und Alejandro Jodorowsky“, was vielversprechender wohl kaum klingen könnte. Aber Marketa Lazarová macht es seinen Zuschauern auch nicht eben einfach, trotz aller Faszination für seine poetischen Bilderwelten. Seinem fast dreistündigen Plot ist nur schwerlich zu folgen. Der Regisseur František Vláčil dehnt die Zeit, er verzichtet beinahe gänzlich auf erklärende Dialoge, schneidet nur regelmäßig Zwischentitel ins Geschehen, die aber ebenfalls eher poetischen Absichten verpflichtet scheinen als der Informationsvermittlung. Oft bleibt unklar, welche Szene womöglich eine Traumsequenz ist, ein Flashback oder Flashforward.
Marketa Lazarová ist die Verfilmung eines nur 120 Seiten starken Romans, der für seinen Autor Vladislav Vančura 1931 den kommerziellen Durchbruch bedeutete. Nur elf Jahre bevor er von der Gestapo verhaftet und ohne Gerichtsverhandlung erschossen wurde, als Teil der Rache-Aktion nach dem Attentat auf Holocaust-Organisator Reinhard Heydrich. Die Besprechungen häufen sich, in denen dieser Text eher als Dichtung bezeichnet wird denn als Roman. Vančuras Geschichte, angesiedelt in einer unspezifischen Zeit während des Mittelalters, interessiert sich kaum für eine nachvollziehbare Handlung. Es geht ihm um die Emotionen der Figuren, um Atmosphäre, Poesie, eine dicht erzählte Welt. Geradezu filmische Mittel zeichnen seinen von einem unheimlich reichen Vokabular geprägten Schreibstil aus, verschiedene Tempi und Perspektiven, abrupte Szenenwechsel, die anmuten wie eine filmische Montage.

Auf den Kern eingeschmolzen: Marketa Lazarová ist die Geschichte einer Fehde zwischen zwei Familien. Deutschen Nobelmännern und tschechischen Banditen. Zwischen die Fronten gerät des wankelmütigen Kaufmann Lazars Tochter Marketa (Magda Vášáryová), die, eigentlich dem Kloster versprochen, vom Tschechen Mikolás Kozlík (František Velecký) entführt und vergewaltigt wird. Dass es schon einiger Konzentration bedarf, diese grundlegenden Handlungsfäden zu begreifen, spricht nicht gegen den Regisseur. Ihm geht es wie Vančura um das Erfahrbar-Machen einer Lebenswelt. Monumentale 548 Tage dauert der Dreh, für den Vláčil sich mit dem Dasein indigener Völker auseinandersetzt, ihren Waffengebrauch und das Alltagsleben studiert. Seine Schauspieler weist er an, während dieser Zeit selbst zu leben wie im 13. Jahrhundert. Die Faustregel, ein Historienfilm sage stets mehr über seine Entstehungszeit aus als über seine dargestellte Zeit, gilt hier nur bedingt. Im Jahr 1967 fertiggestellt, ist Marketa Lazarová so etwas wie die Schaumkrone der europäischen Neuen Wellen, mit seinen sonderbaren Perspektiven, den ungewöhnlichen Bildkadern, Handkamera-Sequenzen, Point-of-View-Shots und Zooms. Unter Ausschluss dieser produktionstechnischen Mittel ist der Film jedoch kaum in den späten 1960er Jahren zu verorten. Zu akkurat sind die Kostüme, zu zeitlos die von weiten Beckenlandschaften geprägten Settings, zu überzeugend das Blut und der Schlamm. Erwachte man eines Morgens tatsächlich im 13. Jahrhundert, der Effekt könnte wohl kaum verwirrender sein.

Marketa Lazarová beginnt im eisigen Winter, dann, nach etwa einer Stunde, als die Titelfigur ihre erste Zeile spricht, treiben die Frühlingsknospen, bis gegen Ende schließlich die Gräser und Stauden hoch auf den Wiesen stehen. Marketa ist eine ungewöhnliche, durchaus auch problematische Figur. Unterwürfig verliebt sie sich in ihren Vergewaltiger. Ein inhärent misogyner Film ist Marketa Lazarová trotzdem nicht. Er beinhaltet eigenwillige Frauenfiguren, die sich nicht scheuen, den Männern ihre Kritik frei auf den Kopf zuzusagen. Sein Ende lässt sich vorsichtig optimistisch lesen, als Ausblick auf eine Zeit der Befreiung aus patriarchalen Strukturen. Außerdem, und hier kommen wir wieder zu den Neuen Wellen der 1960er Jahre, stehen die Stilmittel und ihre Zwecke bei Vláčil stets über der Narration. Marketas Verhalten – so unerklärlich es uns erscheinen mag – ist das Verhalten einer Figur in einer bis ins Detail ausgestalteten Welt, in der grobe Gewalt von allen selbstverständlich hingenommen wird: abgehackte Arme, ein Pfeil, der sich in einen Augapfel bohrt. „Ich lasse keinen barmherzigen Tod zu“, knurrt Kozlík. Durch diese düstere Traumwelt gilt es, sich vorsichtig tastend zu bewegen. Wie der Bettelmönch, der regelmäßig mit seinem Schaf durch das Bild stolpert. Um Groschen bettelnd gerät er immer wieder staunend zwischen die Fronten, ein Spiegelbild der verwirrten Zuschauerschaft. Und doch stets im rechten Moment zur Stelle, um das Geschehene zu bezeugen.

Marketa Lazarová (Wiederaufführung)

In einer Umfrage unter tschechischen Kritikern wurde 1998 ein Werk zum besten tschechischen Film aller Zeiten gewählt, das kaum jemand gesehen hat. Obwohl ein Autor vom A.V. Club es beschreibt als „Game of Thrones, angereichert um Ingmar Bergman und Alejandro Jodorowsky“, was vielversprechender wohl kaum klingen könnte. Aber „Marketa Lazarová“ macht es seinen Zuschauern auch nicht eben einfach, trotz aller Faszination für seine poetischen Bilderwelten.
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