Manderlay – Cannes 2005

Old Europe schlägt zurück!

Mit Spannung erwartet wurde der gestrige Auftritt des Enfant terrible Lars von Trier, von dem sich manche Journalisten einen ebenso hohen Unterhaltungswert erhofften, wie im Jahr zuvor von Michael Moore. Und tatsächlich wurden sie nicht enttäuscht, denn auch der Däne wurde nicht müde darauf hinzuweisen, dass sich der wahre Schurkenstaat jenseits des Atlantiks befindet. Eine Feststellung, an der auch sein neues Werk namens Manderlay kaum einen Zweifel lässt.
Wie bereits Dogville, so wurde auch Manderlay komplett in einer großen Halle gedreht, und wie bei jenem Film, so gibt es auch in diesem kaum Requisiten, manches Mal sogar nur Kulissen, die per Kreidemarkierung „beschrieben“ sind und einen allwissenden „Spielleiter“ oder Erzähler, der dieses Mal von John Hurt gegeben wird – die Brecht’schen Verfremdungseffekte sind anscheinend noch lange nicht ausgeschöpft.

Die Handlung beginnt – ausgerechnet – im Jahr 1933, als sich die bereits aus Dogville bekannte Gangstertochter Grace (gespielt von Bryce Dallas Howard, nachdem Nicole Kidman „aus Termingründen“ nicht mehr zur Verfügung stand – ein Schuft, wer Böses dabei denkt) auf den Weg nach Denver macht, begleitet von ihrem Vater (Willem Dafoe) und seinen bewaffneten Revolverhelden. Unterwegs entdeckt sie eine Baumwollplantage in Alabama namens Manderlay, auf der Jahrzehnte nach Abschaffung der Sklaverei noch Farbige als zwangsverpflichtete und willfährige Arbeiter gehalten werden. Entschlossen schreitet Grace ein und übernimmt das Regiment, die todkranke Besitzerin namens Mam (Lauren Bacall) stellt dabei kaum ein Hindernis dar. Als die alte Dame kurz darauf stirbt, entdeckt Grace ein handgeschriebenes Notizbuch, genannt „Mam’s Law“, eine Art Chronik und Regelwerk der Sklavenhaltung.

Nachdem ihr Vater sie mit vier Gangstern und einem Rechtsbeistand zurückgelassen hat, versucht Grace gegen den teilweisen Widerstand der Sklaven, diese zur Freiheit und Demokratie zu erziehen. Erschwert wird der Umerziehungsprozess durch die Vernichtung der Ernte, so dass statt der neu erlangten Freiheit der Hunger das Denken der Arbeiter beherrscht. Als die Situation schließlich eskaliert, sieht sich Grace gezwungen, auf ausdrücklichen Wunsch der Arbeiter das alte Regime wiederzuerrichten. Ihre Mission ist gescheitert.

Wie bereits in Dogville, so inszeniert Lars von Trier seinen Film und nicht zuletzt auch sich selbst in der Nachfolge von Bertolt Brecht, mit einem annähernd gleichen Dekor und nach ähnlichen, dem Brecht’schen Theater abgelauschten Spielregeln. Dieser Wahnsinn hat bereits Methode bei Lars von Trier, der von Beginn seiner Karriere an niemals nur einfach einen Film drehte, sondern seine Werke stets in den größeren Sinnzusammenhang einer Trilogie stellte. Und seit Dogville beschäftigt er sich nun eben mit den USA, einem Land, in dem er nach eigenen Aussagen noch niemals war – seine Flugangst steht dem entgegen. Trotzdem — und das ist eben das Großartige und Unverschämte an einer Reizfigur wie Lars von Trier, der sich auch mit annähernd 50 Jahren immer noch nicht zu schade ist, den politisch inkorrekten, wort- und bildgewandten „Agent Provocateur“ des Arthouse-Films zu geben — nimmt er sich das Recht heraus, eine bittere und sarkastische dreiteilige Anklage gegen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu drehen, die trotz mancher Schwächen immer noch dazu reicht, um zu spalten und für ein wenig böses Blut zu sorgen. Manderlay ist zwar mit 139 Minuten und seiner Inszenierung ein echter Parforce-Ritt und leistet sich auch manche Länge, um nicht zu sagen Langeweile, doch der Assoziationsreichtum, den von Trier schafft, ist enorm: Er reicht von der Sklaverei als eigentlichem Thema über die Infragestellung der Demokratie als Herrschaftsform westlichen Musters bis hin zu einer mehr oder minder deutlichen Absage an George W. Bushs Anspruch, die Demokratie in die Welt hinauszutragen.

Und so war es denn auch kein Wunder, dass Lars von Trier in der Pressekonferenz zum Film recht deutlich und plakativ wurde und den amerikanischen Präsidenten als Arschloch titulierte. Klar, dass es daraufhin im Saal hörbar rumorte. Der Meister selbst nahm es gelassen, als ihn ein sichtbar entrüsteter amerikanischer Journalist bei der Pressekonferenz scharf anging und ihn fragte: „Was würden Sie sagen, wenn ein US-Regisseur eine Trilogie über Dänemark drehen und sich dabei nur die schlechten Seiten Ihres Landes herausnehmen würde?“ Die lakonische Antwort lautete: „Ich kann es kaum erwarten.“

Manderlay – Cannes 2005

Mit Spannung erwartet wurde der gestrige Auftritt des Enfant terrible Lars von Trier, von dem sich manche Journalisten einen ebenso hohen Unterhaltungswert erhofften, wie im Jahr zuvor von Michael Moore.
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