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Auf der Suche nach den nächsten Likes: Gia Coppola spießt in ihrem zweiten Spielfilm die Influencer*innen-Kultur auf und entfesselt dabei einen Bilderrausch, den der völlig freidrehende Andrew Garfield dominiert. Eine etwas zu schlichte Konstruktion verhindert allerdings echten Tiefgang.

Mainstream (2020)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Die Andrew-Garfield-Show

Als Gia Coppola, Enkelin von New-Hollywood-Mogul Francis Ford Coppola und Nichte von dessen Tochter Sofia, 2013 ihr Regiedebüt „Palo Alto“ vorlegte, durfte man staunen, wie feinfühlig sie darin den Alltag einiger orientierungsloser, mit Zukunftsängsten ringender Jugendlicher am Ende ihrer Highschool-Zeit beschreibt. Selbst Figuren, die in anderen Coming-of-Age-Dramen hoffnungslos klischeehaft ausgefallen wären, zeichnen sich in ihrer Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung James Francos durch eine überraschende Verletzlich- und Vielschichtigkeit aus. Oberflächlicher geht es in Coppolas zweiter Arbeit „Mainstream“ zu, die bereits 2020 bei den Filmfestspielen von Venedig ihre Weltpremiere feierte. Mit der von viel Schein umgebenen Kultur der Influencer*innen nimmt sich die Regisseurin und Drehbuchautorin ein dankbares Zielobjekt vor, liefert unter dem Strich aber nur wenige kluge Einsichten ab.

Die Probleme beginnen bereits bei der etwas behauptet wirkenden Grundkonstellation: Nach dem Unfalltod ihres Vaters – ein lustlos etablierter Schicksalsschlag ohne großen emotionalen Widerhall – schlägt sich die etwas planlose Frankie (Maya Hawke, Tochter von Uma Thurman und Ethan Hawke) in Los Angeles als Bardame in einem Lokal mit einer Stand-up-Comedy-Bühne durch. Immer mal wieder muss sie im Programm einer älteren Dame aushelfen und sich, verkleidet als Baby, ein überdimensionales Fläschchen in den Mund stopfen lassen. Ihr Leben ist festgefahren, wollen uns Coppola und Drehbuchpartner Tom Stuart offenkundig sagen und versehen ihre Protagonistin mit einer diffusen Leidenschaft fürs Filmen. Häufig greift Frankie zum Handy, fängt ihre Umgebung ein, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich festhalten soll. Eine Vertreterin der Generation Smartphone, die, so stammelt sie vor sich hin, irgendwie künstlerisch tätig sein, Dinge tun will, damit andere darin etwas fühlen. Auf YouTube, wo sie ihre „Werke“ hochlädt, bleibt der Erfolg, wenig überraschend, erst mal aus.

Vermutlich könnte sie ihre Unentschlossenheit ewig vor sich hertragen. Als sie jedoch den Freigeist Link (Andrew Garfield) kennenlernt, der natürlich ein Verächter mobiler Telefone und der Jagd nach möglichst vielen Likes ist, schlägt Frankie recht abrupt einen neuen Weg ein. Die Scheiß-auf-alles-Einstellung ihres vor Tatendrang nur so sprühenden, lustvoll gegen Konventionen anrennenden neuen Freundes, für den sie schnell mehr empfindet, wird zu ihrem Credo. Ähnlich plötzlich wie Frankies Wandel vollzieht sich auch Links Kehrtwende, der sich auf einmal ein Handy zulegt und ihrem Vorschlag zustimmt, Videos zu drehen, in denen er seine Performer-Qualitäten hemmungslos auslebt. An Bord holen sich die beiden für den Autorenjob Frankies Barkollegen Jake (Nat Wolff), der sich unverkennbar zu der Möchtegernkünstlerin hingezogen fühlt. Lange gut gehen kann diese Dreiecksbeziehung freilich nicht …

Blendet man den etwas holprigen Aufbau des ersten Aktes einmal aus, entwirft Mainstream eine durchaus spannende, da ambivalente Gemengelage. Frankie, Link und Jake beginnen mit im Guerillastil gedrehten Clips, die den Narzissmus vieler YouTube-Stars aufs Korn nehmen – und landen nach ersten Klickerfolgen im Büro eines Szeneexperten (Jason Schwartzman), der die von Link dargestellte Persönlichkeit „No One Special“ groß rausbringen, sie zu einer Marke machen will. Auch wenn sich Link weiterhin als Anarchist geriert und von einer Revolution der falschen Schönheitsidealen und einer toxischen Aufmerksamkeitsgier folgenden Onlinewelt faselt, unterwirft er sich, wie viele andere Influencer*innen, mehr und mehr dem Diktat der Quote. Ein Schwund der Likes ist verboten. Und um interessant zu bleiben, müssen stetig Grenzen überschritten werden. Egal, welche Bedenken der moderater eingestellte Jake auch vorbringt.

Als ungünstig erweist sich die Entscheidung Coppolas und Stuarts, viele Abläufe drastisch zu verknappen. Dass der rasche Aufstieg und der erste Dämpfer in einer rasanten, visuell knallig ausgeschmückten Montage zusammengefasst werden, ergibt mit Blick auf die Thematik sicherlich Sinn. Schließlich findet man auf YouTube und anderen Content-Plattformen genau das: pointierte, dynamische geschnittene Videos mit allerlei optischen Effekten. Erzählerisch bleibt allerdings einiges auf der Strecke. Was noch schwerer wiegt: An entscheidenden Stellen wird der Plot von abgegriffenen, billig anmutenden Wendungen und Erkenntnissen vorangetrieben. Besonders deutlich gegen Ende, wenn Frankie erstmals – und erstaunlich spät – handfeste Zweifel an ihrem Geschäftspartner und Lover kommen.

Gehört in Palo Alto die Charakterzeichnung zu den großen Stärken, gibt sich Mainstream gerade hier handfeste Blöße. Blass bleibt nicht nur Jake, dessen Qualitäten als Autor nie richtig greifbar werden. Einen merkwürdig farblosen Eindruck hinterlässt zudem die meist naiv auftretende Frankie, die in der deutschen Synchronfassung dank einer monotonen Sprechweise noch eine Spur einfältiger daherkommt. Womöglich erscheinen diese beiden Figurenporträts aber auch deshalb arg unterentwickelt, weil sie vom schillernd-exzentrischen Wesen Links komplett überstrahlt werden. Andrew Garfield zieht wahrlich alle Register, stürzt sich kopfüber ins bunte Treiben, schüttelt sich wie wild und lässt den Wahnsinn in den Augen seines zügellosen Selbstdarstellers regelmäßig aufblitzen. Dass Mainstream eine irre Energie verströmt, liegt neben der poppigen, auf YouTube-Stilmittel zurückgreifenden Gestaltung vor allem an der Platz-da-hier-komme-ich-Performance des einstigen Spider-Mans.

Gerade weil sich Garfield die Seele aus dem Leib spielt, ist es schade, dass der satirisch auf den Internet-Fame blickende Film in vielen Fällen nur Allgemeinplätze abarbeitet und Chancen verstreichen lässt, seiner Materie mit richtigem Biss zu begegnen. Die Idee, Link in der Internet-Talkshow eines gewissen Ted Wick (Johnny Knoxville) mit mehreren echten Influencer*innen zusammenzubringen, ist toll. Auf seine angriffslustig vorgetragenen und keineswegs unbegründeten Thesen dürfen die Anwesenden jedoch bloß stichwortartig antworten. Genau in dieser Sequenz hätte man die Oberfläche durchbrechen und die Schein-und-Sein-Welt der Onlinestars schonungslos ausleuchten können. Links regelrecht schizophrene Haltung – Werft eure Handys weg, aber folgt mir mit euren Likes! – verleiht Mainstream eine im positiven Sinne irritierende Note. Mit einer seine Backstory betreffenden Enthüllung im Schlussdrittel beschneidet Coppola allerdings ihren so widerspenstigen, schwer fassbaren Antihelden und macht es sich in ihrer Bestandsaufnahme wahrscheinlich etwas zu einfach.

Mainstream (2020)

In Gia Coppoals „Mainstream“ kämpfen drei Menschen darum, ihre Identität zu bewahren, während sie im schnelllebigen Internet-Zeitalter ein exzentrisches Liebesdreieck bilden.

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