Maidan (2014)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Bilder einer blutigen Revolution

In einer einzigartigen Begegnung aus politischer Dringlichkeit und ästhetischer Perfektion beobachtet der in der Ukraine aufgewachsene Regisseur Sergej Loznitsa in seiner Dokumentation Maidan die Geschehnisse rund um die weltbekannten Ereignisse in Kiew im Winter 2013/2014.

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Dabei fordert der Regisseur jederzeit den Blick des Zuschauers und hält sich mit einer schier unheimlichen Distanz aus jedweder Parteiergreifung heraus, obwohl seine Bilder ganz klar auf Seite der Protestierenden stehen. Damit liefert er sozusagen das Gegenstück zu den sowjetischen Filmen der 1920er-Jahre, die mehr als deutlich einen politischen Standpunkt mit ihrer Ästhetik verknüpften und Agitation statt Dokumentation zum Ziel hatten.

Das Besondere an Maidan ist, dass er Bilder aus dem Herzen einer blutigen Revolution liefert, die ästhetisch ansprechend und sehr vielschichtig konstruiert sind. Statt der Hektik und Wackelkamera-Ästhetik, die man sonst aus Aufnahmen von Protesten wahrnimmt, steht die Kamera hier auf einem Stativ und blickt manchmal aus großer Entfernung, manchmal mitten im Geschehen auf die kollektiven Prozesse, die zur Flucht von Präsident Wiktor Janukowytsch führten. Dabei entfaltet sich ein überwältigendes Verständnis für Menschenmassen und den Raum, in dem sie sich bewegen. Nach einer Gesichtsstudie während der ukrainischen Nationalhymne zu Beginn beobachtet Loznitsa zunächst den Rücken einer revolutionären Infrastruktur. Es geht ihm um die Logistik und die rhetorischen Funktionsweisen revolutionärer Prozesse. Die Kamera ist selten auf die große Bühne des zentralen Platzes der ukrainischen Hauptstadt gerichtet sondern bewegt sich dahinter, an den Schwellen dieser politischen Insel dort wo gekocht wird oder wo die Grenzen zur restlichen Welt verlaufen. Im Ton sind immer wieder Parolen und Durchsagen zu hören, irgendwann wird von Kindern ein Weihnachtslied gesungen, Menschen wärmen sich am Feuer. Das Sounddesign ist dabei äußerst versiert und erzählt seine eigene Geschichte über die Parolen und Schwierigkeiten einer Agitation. So wirkt manch emotionaler Aufruf aus der Entfernung ziemlich belanglos und manch Sprecher auf der großen Bühne nicht ausreichend vorbereitet.

Dann beginnt die Gewalt und man kann kaum glauben wie unbewegt die Kamera inmitten all des Terrors harrt, eine fast kalte Präsenz, die ganz bewusst in einem Konflikt undurchsichtiger Parteien und Regierungen voller Fehlinformationen schlicht aufnimmt, was sie sieht, statt sich empathisch aufzuladen. Wenige Male wird Loznitsa mit kurzen Zwischentexten eine grobe zeitliche Verortung des Geschehens geben. Alles andere überlässt er unseren Augen, die sich kaum satt sehen können, denn fast jede Einstellung ist so aufgebaut, dass man in jeder Ecke des Bildes etwas anderes entdecken kann, eine andere Bewegung, eine andere Person, eine andere Brutalität oder Menschlichkeit. Zweimal wird sich die Kamera bewegen. Einmal- und das zeigt durchaus die Perspektive, die Loznitsa bei aller Neutralität auf das Geschehen einnimmt — als Journalisten beschossen werden und sie sich flüchtend im Kreis dreht, um zwischen fast im Delirium hustenden Sanitätern und Fotografen einen Blick auf eine schwarze Front aus im Nebel erscheinenden Polizisten zu geben. Ein anderes Mal als sie in einer Einstellung des Films von weit oben wie ein Zielfernrohr schwenkt und Kampfhandlungen betrachtet, während aus den Lautsprechern nach Ärzten verlangt wird und strategische Anweisungen gegeben werden. Schließlich wird der Film die Folgen der Krawalle betrachten, eine Beerdigung, Gottesdienste und das Weiterkämpfen. Manchmal droht Loznitsa dabei seine Perspektive aufzugeben, wenn er pathetische Ausrufe der Protestanten mit schwarzen Bildern unterlegt. Aber er wird immer zurück in seinen rein beobachtenden, wertfreien Gestus fallen — und das ist mehr als gut so.

So entstehen ständig neue Räume an den Rändern des Bildes und es erscheint fast unglaubwürdig, wie Loznitsa, der zusammen mit Serhiy Stefan Stetsenko und Mykhailo Yelchev die Kamera führte, immer wieder ästhetisch ansprechende Bilder bekommt. Diese Prozessstudie ist mit einem poetischen Rhythmus unterlegt, der keineswegs verschönert oder Euphemismen der Gewalt provoziert, sondern lediglich andere Bewegungen unter der blanken Information zum Vorschein bringt und zulässt, das Große aus dem Detail zu filtern. Im Gegensatz zu einer aufgeladenen filmischen Wut, die verständlich wäre, erweist sich die Distanz von Loznitsa als ein Erkennen, das es vermag, die Gegenwart als Erinnerung in den Rauchschwaden und nächtlichen Zeremonien mit Handylichtern zu begreifen und damit verdeutlicht, dass Geschichte auch Geschichte ist, wenn sie erst geschrieben wird.
 

Maidan (2014)

In einer einzigartigen Begegnung aus politischer Dringlichkeit und ästhetischer Perfektion beobachtet der in der Ukraine aufgewachsene Regisseur Sergej Loznitsa in seinem Dokumentarfilm „Maidan“ die Geschehnisse rund um die weltbekannten Ereignisse in Kiew im Winter 2013/2014.

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