Mädchen im Eis

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Russisches Rätsel mit Pinguinen

„Wenn du nichts mehr zu bieten hast, und nichts mehr zu erhoffen, dann bist du hier draußen richtig“, sagt Yegor (Yuri Kolokolnikov) über Teriberka. In dem Dorf hinter dem russischen Polarkreis, das als Drehort von Leviathan berühmt wurde, treffen in einem einsamen Sporthotel die merkwürdigsten Gestalten aufeinander. Yegor ist eine von ihnen, aber er hält sich selbst für einen motivierten und ehrlichen Arbeiter. Folglich möchte er ordentlich bezahlt werden für seine Lieferung von 100 Pinguinen, die der russische Oligarch Wsewolod Starych (Aleksei Guskov) für den Dreh eines patriotischen Umweltschutzfilms bestellt hat. Leider sind die Tiere unterwegs verendet und Starych hat für Yegor nur eiskalte Verachtung übrig. Der alte Nationalist ist ein Verfechter des Edlen und Reinen. Erst kürzlich hat er einen Mann, der eine satte Summe entgegennahm, um der jungen Deutschen Winja (Lucie Heinze) den Weg hierher zu ihrem Geliebten zu weisen, eigenhändig ins Jenseits befördert.
Winja erlebt im Hotel ein böse Überraschung: Andrei (Anton Pampushnyy), den sie in Deutschland kennenlernte und hier in die Arme schließen will, erscheint mit Frau und Kind. Swetlana (Maria Semenova) trainiert als Biathletin eisern für Olympia und Andrei muss sich rund um die Uhr um das Baby kümmern. Er fühlt sich verantwortlich für das Kind, liebt Swetlana aber nicht, sondern Winja. Und immer wieder geht es auch darum, ob die Pinguine edle, aufopferungsvolle Familientiere sind, oder doch eher „unanständig“ und „pervers“, wie Yegor behauptet. Eine Rahmenhandlung zeigt ihn als Tierpfleger in einem Zoo, wo er die Pinguine füttert und den Besuchern erzählt, was damals in Teriberka geschah.

Es ist also einiges los in dieser schrägen Liebes- und Krimikomödie, die einen satirischen Blick auf den Zustand der russischen Gesellschaft wirft. Regisseur Stefan Krohmer (Sommer ‚04) inszenierte die deutsch-russische Koproduktion nach einem Drehbuch von Daniel Nocke. Das zentrale Thema scheint – so weit sich das in diesem munteren Durcheinander ausmachen lässt — die richtige Gesinnung zu sein. Yegor, der Zyniker, ist gar nicht gut auf Idealisten zu sprechen, auf Menschen wie Starych also oder Zoo-Besucher, die den Pinguinen moralische Werte zuschreiben. Die Menschen aber mögen den selbstherrlichen Starych: Selbst wenn er ein Verbrechen begeht, führen sie zu seiner Entschuldigung an, er habe sich für das Gute eingesetzt und jemandem helfen wollen. In seinem Film, der die Menschen aufrütteln und bekehren soll, fliegen Eisberge und Pinguine in die Luft und er rezitiert dazu Verse des russischen Schriftstellers Alexander Blok. Die philosophische Schwere, die Starych ausstrahlt, wirft viele Fragen auf, zum Beispiel auch, ob einem als außenstehendem Zuschauer nicht die Kenntnis der russischen Themen abgeht, die hier angeschnitten werden.

Zugänglicher wirkt der mit ironischer Schärfe erzählte Strang über die hart trainierende Rabenmutter Swetlana. Sie schindet sich, nimmt Dopingmittel und versklavt sich für die Idee des Ruhms – eine Erinnerung an das sportliche Ethos aus Sowjetzeiten. Aber sie muss sich gleichzeitig von Andrei vorhalten lassen, dass sie ihr Kind vernachlässigt, was wiederum nicht wirklich zum sozialistischen Frauenbild passt. Vielmehr scheinen Swetlana und Andrei die traditionellen Genderrollen vertauscht zu haben, nur um daran zu scheitern.

Die Einsamkeit der Schneelandschaft und die etwas aus der Zeit gefallene Szenerie im Hotel erzeugen ein Gefühl von Verlorenheit, das recht gut zum trockenen bis schwarzen Humor der Geschichte passt. Flippig wirken hingegen die eingestreuten Computeranimationen, in denen Tinte aus Gebäuden quillt oder Wohnblocks aus grafischen Klötzchen entstehen und im Auge eines Pinguins verschwinden. Die ausgefallene Geschichte regt bis zum Schluss zu Rätselspielen auf skurrilen Pfaden an, denen die Wegweiser abhanden gekommen sind.

Mädchen im Eis

„Wenn du nichts mehr zu bieten hast, und nichts mehr zu erhoffen, dann bist du hier draußen richtig“, sagt Yegor (Yuri Kolokolnikov) über Teriberka. In dem Dorf hinter dem russischen Polarkreis, das als Drehort von „Leviathan“ berühmt wurde, treffen in einem einsamen Sporthotel die merkwürdigsten Gestalten aufeinander.
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