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In „L’innocent“ mixt Regisseur und Hauptdarsteller Louis Garrel Crime und Comedy und demonstriert sein Talent für liebenswert gezeichnete Charaktere.

 

L’innocent (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der Kaviar-Plan (und seine Tücken)

Als Schauspieler ist der 1983 geborene Franzose Louis Garrel, etwa dank Auftritten in Bernardo Bertoluccis „Die Träumer“ (2003) und diversen Werken von Christophe Honoré, in deutschen Arthouse-Kreisen durchaus ein Begriff. Seine Regie-Arbeiten, darunter das Buddy-Movie „Zwei Freunde“ (2015) und die romantische Tragikomödie „Ein treuer Mann“ (2018), blieben indes bis dato eher unentdeckt. Das ist schade – und sollte sich mit seinem neuesten Film „L’innocent“ umso dringlicher ändern.

Garrel verkörpert darin Abel, einen Mann Anfang 30, der in einem Aquarienhaus arbeitet und dort bei Führungen am liebsten über das Axolotl spricht. Absolut verständlich! Seine Mutter Sylvie (Anouk Grinberg) gibt Theaterworkshops im örtlichen Gefängnis und hat dabei unter den Insassen schon einige Male ihre vermeintlich große Liebe gefunden. Nun ist es wieder passiert: Sie will Michel (Roschdy Zem) heiraten, der fünf Jahre wegen Raubs im Knast saß und jetzt wieder frei sein kann. Gemeinsam möchte das Paar einen Blumenladen eröffnen und einfach nur glücklich sein.

Abel ist jedoch skeptisch. Mit seiner guten Freundin und Kollegin Clémence (Noémie Merlant) stellt er dem frisch Entlassenen nach. Dabei verhält sich das Duo allerdings derart stümperhaft, dass die Sache nicht lange geheim bleibt. Schließlich weiht Michel seinen Stiefsohn in seine aktuellen Schwierigkeiten ein: Um den Blumenladen starten zu können, hat sich Michel auf eine (weitere) kriminelle Nummer eingelassen. Er muss einen Kaviarlaster ausrauben, um das nötige Geld zu erhalten. Kurzerhand beschließen Abel und Clémence, sich an der riskanten Aktion zu beteiligen.

L’innocent beginnt als leicht überdrehte Mutter-Sohn-Komödie, die darauf hinauszulaufen scheint, dass ein Abnabelungsprozess stattfinden muss. Sylvie ist lebhaft und impulsiv, Abel – der vor ein paar Jahren seine Frau verloren hat – ist in sich gekehrt, zögerlich und pessimistisch. Als der junge Mann dem Glück seiner übermütig-verliebten Mutter mit klaren Vorbehalten begegnet, kontert diese scherzhaft: Wäre er nicht ihr Sohn, würde sie glauben, er sei ein Arschloch.

Durch Abels Versuche, Michel zu beschatten, kommen Elemente in die Inszenierung, die unter anderem an die Gaunerkomödie Charade (1963) von Stanley Donen erinnern. Der Einsatz von Kamerazooms und Split-Screen versprüht Sixties-Charme. Ähnlich wie Donens Werk wandelt sich auch Garrels Film immer mehr zu einer kinematografischen Wundertüte, aus der clevere Suspense-Passagen und funkelnder Screwball-Humor zum Vorschein kommen.

Letzterer ist insbesondere dem perfekten Comedy-Timing von Noémie Merlant zuzuschreiben, die 2019 im historischen Liebesfilm Porträt einer jungen Frau in Flammen ihr dramatisches Können zu zeigen vermochte und hier sichtlich Spaß an einer Rolle hat, die in schlechteren Regie- und Schauspielhänden wohl als bloßer Sidekick geendet wäre. Um den Kaviar-Plan in die Tat umzusetzen, müssen sich Abel und Clémence in einer Gaststätte als zerstrittenes Paar ausgeben und den LKW-Fahrer mit einer wilden Nummer ablenken.

Bereits die Szenen, die dieses Täuschungsmanöver vorbereiten, sind herrlich – und auch die letztliche Durchführung ist virtuos, sowohl innerhalb der Geschichte als auch als Darbietung von Merlant und Garrel. Fake-Mascaratränen und Nonsens-Vorwürfe vermischen sich alsbald mit echten Gefühlen und Geständnissen. Wir haben Clémence und Abel zu diesem Zeitpunkt bereits so gut kennengelernt, dass das tatsächlich mitreißt. Es ist witzig und rührend zugleich, ein albernes Spiel und doch eine hochemotionale Angelegenheit.

Von solchen herzlichen Augenblicken hat L’innocent reichlich. Agieren Abel und Michel in einem Moment noch als Antagonisten, tanzen sie im nächsten schon voller Energie Salsa miteinander. Es ist schön, diesen Figuren zuzusehen, wie sie dem Chaos des Lebens trotzen, wie sie nur das Beste füreinander wollen – und dann eben irgendwie doch im Schlamassel landen und tapfer kämpfen müssen.

L’innocent (2022)

Die 60-jährige Sylvie hat sich in den Schläger Michel verliebt, den sie im Gefängnis heiratet. Beide träumen von einem Neuanfang und wollen einen Blumenladen eröffnen. Sylvies Sohn Abel sieht die Beziehung jedoch mit Argwohn und ist überzeugt, dass Michel rückfällig werden wird.

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