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Mit der ersten großen Migrationswelle türkischer Staatsbürger nach Deutschland entwickelt sich auch die türkische Popmusik zu einem lukrativen Wirtschaftszweig – von den Deutschen weitgehend unbeachtet.

Liebe, D-Mark und Tod (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Musik als Teil der Identität

Der deutsche Regisseur mit türkischen Wurzeln Cem Kaya beschäftigt sich seit Jahren mit türkischer Popkultur. Musik und Filme — oft ist beides nicht voneinander zu trennen — spielen eine wesentliche Rolle für die Sozialisierung eines Menschen. Findet man sich dann in einem anderen Land als seinem Heimatland wieder, können Musik und Film dann zusätzlich eines der wichtigsten Mittel für den Zusammenhalt einer Diaspora werden. In ihnen lässt sich Trost finden, und sie können zur Bestätigung der eigenen Identität dienen, die im fremden Umfeld ins Wanken geraten kann. Dies alles zeigt Kaya in seinem sehr dichten Dokumentarfilm. Gleichzeitig hat er eine Mammutleistung erbracht, wenn es darum geht, die Geschichte hier spezifisch der türkischen Popmusik aufzuarbeiten.

Aşk, Mark ve Ölüm, zu Deutsch Liebe, D-Mark und Tod, zeigt, dass diese untrennbar mit der Geschichte der türkischen Migration nach Deutschland verbunden ist. Auch wenn die Instrumente, die die Musiker und Sänger Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahren aus der Türkei mit sich brachten, aus einer alten Tradition stammten, begannen sich die Klänge in der neuen Heimat zu verändern. Die passten sich der melancholischen Stimmung an, die viele überfiel. Die Texte der Lieder einer Musikerin wie Yüksel Özkasap (Jahrgang 1945) besangen das Leben in Deutschland, die Schwierigkeiten unter Menschen zu leben, die einem misstrauisch entgegentraten, wenn es um den Wunsch nach einer eigenen Wohnung oder einfach nach gerechteren Arbeitsbedingungen in den Fabriken ging. Özkasap steht symbolisch für 500 bis 600 weitere Künstler und Künstlerinnen, die ab den 1960er Jahren eine beachtliche Karriere erfahren haben. 

Die Musik fand ihre Verbreitung über das Medium der Kassette. Mehrere Plattenfirmen, wovon eine der größten Türküola mit Sitz in Köln ist, produzierten diese am laufenden Band. Sie waren aus verschiedenen Gründen beliebter als etwa klassische Schallplatten. Einer der wichtigsten ist die Tatsache, dass sie im Auto angehört werden konnten. Auf den langen Fahrten nach Hause in die Türkei waren sie daher im Dauereinsatz. Sie waren zudem hitzebeständig und boten weit mehr Speicherplatz für die Lieder. Was aus Kayas Film als interessantes Phänomen hervorgeht, ist, dass diese wortwörtlich Millionen an in Deutschland ansässige Türken verkaufte Kassetten völlig an der restlichen deutschen Bevölkerung vorbeigingen. Die Größe dieses Industriezweigs fand weder im politischen noch gesellschaftlichen Bewusstsein eine Entsprechung. 

Wie es der Regisseur im persönlichen Gespräch erklärt, war es für ihn eine schwierige Aufgabe, überhaupt in den Archiven von Zeitungen oder des Fernsehens Dokumente für das Interesse an der Kultur der Einwanderer zu finden. Man konzentrierte – und heute ist es nicht viel besser geworden – sich auf die politische Ebene, wenn man „die Türken“ beschrieb, über sie berichtete. In ihrer Freizeit hat man sie nicht gezeigt, was natürlich maßgeblich das öffentliche Bild der türkischen Arbeiter geprägt hat. Es wäre aber eigentlich ein Leichtes gewesen, an ihren Konzerten teilzunehmen oder sich in den weitverbreiteten Cafés, oder „Gazinos“, umzusehen. Das holt Kaya nun mit seinem Film nach und eröffnet wohl den meisten Außenstehenden einen ganz neuen Blick auf den einst bunten Alltag der türkischen Mitbürger. Eindrücklich sind vor allem die Bilder des vor dem Mauerfall stillgelegten U-Bahnhofs Bülowstraße in Berlin, der noch in den 1970er Jahren am Abend als Tanzpalast mit Leben gefüllt war. 

Dicht aneinander montiertes Archivmaterial, eine poppige Ästhetik, die an die Cover der Musikkassetten erinnert, und das Auftreten zahlreicher Sänger und Sängerinnen verschiedener Generationen machen aus dem Film eine unterhaltsame Erfahrung, stimmen aber mit dessen manchmal unterschwelligen, manchmal offenkundigen bitteren Beigeschmack, wenn es um die erzählte Realität der Türkischstämmigen ebenfalls verschiedener Generationen geht, auch nachdenklich. Kaya hat ein wichtiges Zeitdokument geschaffen und mit seiner fleißigen Dokumentationswut wahre Pionierarbeit geleistet. Diese Sehnsucht nach einem respektvollen Miteinander, die in der Musik zu finden ist, so wird im Film klar, ist bisher übrigens nicht so eingetreten. Das geht aus den Texten heutiger Vertreter und Vertreterinnen des türkischstämmigen Hip-Hop oder Raps hervor. Eins hat sich insofern geändert, als dass man sie sich heute, auch durch den Einzug der deutschen Sprache in die Musik, eher anhört. Im Übrigen ist der Film eine Ermahnung, auch anderen Bevölkerungsgruppen mit mehr Interesse für das, was sie kulturell ausmacht, bewegt und antreibt, zu begegnen.

Liebe, D-Mark und Tod (2022)

Cem Kayas dichter Dokumentarfilmessay feiert 60 Jahre türkische Musik in Deutschland. Eine alternative Nachkriegsgeschichte und zugleich ein musikalisches Who-Is-Who, von Yüksel Özkasap über Derdiyoklar bis Muhabbet.

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Meinungen

Sung-Hyung Cho · 28.11.2022

Läuft der Film irgendwann in Saarbrücken oder in Frankfurt?

Ursula Carstensen · 30.09.2022

Vielen dank für den tipp.
Läuft leider noch nicht in kiel.
Schöne grüsse UC

Peter · 10.09.2022

Erwähnenswert ist auch die Compilation "Songs of Gastarbeiter Vol. 1", die immerhin 16 Songs von türkischen Migrantinnen und Migranten vereint.