Liebe (2012)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

...bis ans Ende unserer Tage

Seit vielen Jahren sind Georges (Jean-Louis Trintignant) und Anne (Emmanuelle Riva) miteinander verheiratet, ein Paar, das gemeinsam alt geworden ist, das sich immer noch gut versteht und das einander mit Respekt und Hochachtung behandelt. Zu Beginn des Films sehen wir sie im Bus auf der Heimfahrt von einem Konzert, das einer von Annes früheren Klavierschülern gegeben hat — mittlerweile ist er ein berühmter Pianist. Es ist die einzige Szene, die außerhalb der gemeinsamen Wohnung spielen wird. Was diesem Auftakt (vor den Haneke den Schlusspunkt gesetzt hat) folgt, ist ein beklemmendes Kammerspiel über das Ende eines Lebens und einer Liebe, über den ganz normalen Gang der Dinge, an dessen Ende der Tod steht.

Es beginnt mit einem harmlosen Zwischenfall beim Frühstück: Von einer Minute auf die andere verfällt Anne in eine Starre, ihre Augen blicken ins Leere, auf die Fragen ihres Mannes reagiert sie nicht mehr. Dann, nach kurzer Zeit, ist alles wieder wie vorher — nur dass Anne sich an nichts mehr erinnern kann.

Natürlich ist nichts mehr wie zuvor, das ahnt man schneller, als Anne und Georges dies realisieren. Es folgt ein Schlaganfall, dann später ein zweiter,der Anne halbseitig lähmt und an den Rollstuhl fesselt. Trotz der liebevollen Pflege ihres Mannes verfällt sie zusehends, ist phasenweise kaum mehr ansprechbar. Bis George irgendwann keinen Ausweg mehr sieht. Denn seine Frau jemand anderem zur Pflege anzuvertrauen, das bringt er nicht übers Herz. Und vielleicht ist dieser Ausweg für die beiden ja der einzig mögliche, der einzige, der ihrer Liebe füreinander gerecht wird.

Zwei Stunden dauert Michael Hanekes neuer Film Liebe- und allein wegen des Themas sowie der prinzipiell realistischen Herangehensweise drängt sich ein wenig der Vergleich zu Andreas Dresens Film Halt auf freier Strecke auf, der im letzten Jahr an der Croisette zu sehen war. Trotz des bitteren Themas aber ist Liebe — und das ist das vielleicht wirklich Neue — ein sehr zärtlicher und liebevoller Film geworden, der ganz nahe an seine Personen herangeht, ohne ihnen ihre Würde zu nehmen. Die aus der Situation folgenden Konflikte sind schlaglichtartig gesetzt und überdecken nicht die Titel gebende Liebe zwischen Georges und Anne, die sich nach vielen guten Zeiten („Es ist schön, das Leben“, sagt Anne an einer Stelle, als sie beim Durchblättern eines Fotoalbums Stationen ihres Lebens Revue passieren lässt) nun auch an schlechten Tagen bewähren muss.

Getragen wird Liebe von zwei Darstellern, die Unglaubliches leisten — vor allem Emmanuelle Riva, die alle Stufen des Verfalls zu durchlaufen scheint, ist unfassbar gut, da sie Jean-Louis Trintignant ein Gegenüber bietet, an dem er sich abarbeiten muss.

Wie häufig bei Haneke, so stehen auch hier die Stille, das Schweigen, das Nichtgesagte, die unterdrückten Konflikte und nicht unternommenen Handlungen, die Versäumnisse im Zentrum der Anordnung der Figuren. Und dennoch gibt es wesentliche Unterschiede im Vergleich zu früheren Filmen Hanekes. Das zunehmende Verstummen der Kommunikation, sonst ein Zeichen für dysfunktionale Strukturen bei Haneke, resultieren hier aus dem körperlichen und geistigen Zerfall Annes und aus Georges‘ Unfähigkeit, dieses Leid zu teilen und werden deshalb mit Milde und Verständnis betrachtet. „So ist es, das Leben“, scheint uns Haneke zu sagen — und das Sterben, möchte man hinzufügen. Bei aller Härte und Düsternis, die Liebe ausstrahlt: Wem solch eine letzte Zeit mit seinem Partner vergönnt ist, der muss sich wohl glücklich schätzen.

Dass Liebe Chancen auf die Goldene Palme hat, ist zwar eher unwahrscheinlich (auf den Preis für die Beste Darstellerin möchte man aber beinahe wetten), dazu ist Das weiße Band noch zu präsent in den Köpfen der Jury. Ob solch ein schweres Drama, das seinen Reiz vor allem durch die Kargheit seiner Mittel und seine Beschränkung auf einen Schauplatz bezieht, beim deutschen Kinopublikum gut ankommt, wird abzuwarten sein. Was der Film aber eindrucksvoll belegt, ist eine neue Seite im filmischen Werk des großen Moralisten Michael Haneke.
 

Liebe (2012)

Seit vielen Jahren sind Georges (Jean-Louis Trintignant) und Anne (Emmanuelle Riva) miteinander verheiratet, ein Paar, das gemeinsam alt geworden ist, das sich immer noch gut versteht und das einander mit Respekt und Hochachtung behandelt. Zu Beginn des Films sehen wir sie im Bus auf der Heimfahrt von einem Konzert, das einer von Annes früheren Klavierschülern gegeben hat — mittlerweile ist er ein berühmter Pianist. Es ist die einzige Szene, die außerhalb der gemeinsamen Wohnung spielen wird.

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Meinungen

Theresa · 07.03.2013

Ich fand den Film "Liebe" sehenswert.
Er hat mich angeregt, über einiges nachzudenken.
Wie schön das Alter und das Lebensende sein kann, mit einem verständnisvollen, einfühlsamen und treuen Partner an seiner Seite.

Mel · 01.03.2013

Der Film war wirklich super! Ich hätt fast geheult...
Wirklich sehr bewegend!
Ich spiele mit dem Gedanken, ihn heute abend noch einmal zu sehen. Wäre es ein Buch, hätte ich es verschlungen. Die Zeit geht so schnell vorbei - die zwei Stunden vergehen rasend!

Susanne Nömer · 27.02.2013

Konnte mir am 26.2.2013 den Film ansehen. Finde ihn bewegend und total klasse. Ein sehr wichtiges Thema welches in unserer Gesellschaft noch mehr Offenheit und Raum verdient.

Kurti · 07.02.2013

Unlogisch, schlecht geschnitten, sehr kalt inszeniert. Die Figuren werden wie auf einem Schachbrett betrachtet. Diese distanzierte Versuchsanordnung wird dem Thema nicht gerecht. Eine große Enttäuschung für den Kinogänger. Wer wirklich liebt, verhält sich nicht so, wie die konstruierten Figuren im Film.

Rolf Haselbacher · 21.01.2013

Wie viel Liebe, wie viel Würde und am Ende wie viel Konsequenz.
Eine unglaublich schauspielerische Leistung und eine mutige und reife Leistung von Michael Haneke gegenüber dem Leben.

Thomas Neubert · 10.10.2012

Bin beeindruckt gewesen. Vielleicht einer der schönsten Liebesgeschichten die je im Kino zu sehen waren. Kein Sozialdrama, kein Miserabelismus- nur Liebe.

Inge Draeger · 04.10.2012

Sehr identisch und echt gespielt, so ein schöner Film!!