Legend (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das Fehlen einer Geschichte

Legend beginnt mit der Stimme einer Frau aus dem Off. Bei dieser Frau handelt es sich um Frances (Emily Browning), die Erzählerin der Geschichte über die Zwillingsbrüder Reggie und Ronnie Kray (beide Tom Hardy) und zugleich die verstorbene Gattin „ihres“ Reggies. Die Krays sind in England ‚Legenden‘, zwei Brüder, die in den Swinging Sixties das Londoner East End mit brachialen Methoden, harter Hand und rauschenden Partys im Griff hatten, mit Politikern, Frank Sinatra und Judy Garland feierten und zu Ikonen des Gangstertums wurden. Ihre Geschichte wurde bereits u.a. von Peter Medak (The Krays, 1990) verfilmt, nun hat sich Brian Helgeland den Krays angenommen und in den Hauptrollen Tom Hardy besetzt.

Diese Voraussetzungen lassen auf Gutes hoffen: Hardy hat mit The Drop — Bargeld in einem sehr gelungenen crime drama mitgespielt, Brian Helgeland hat mit L.A. Confidential das letzte wirklich überzeugende Gangsterdrama der letzten Jahrzehnte geschaffen. Dennoch zeigt sich bei Legend wieder einmal, dass gute Leistungen in der Vergangenheit nicht einen gelungenen Film gewährleisten. Vielmehr beginnen die Schwierigkeiten bereits bei Tom Hardy. Er überzeugt als Reggie, als cleverer Gauner und verliebter junger Mann, als klassischer Gangster, der zwischen dem Drang nach Reichtum und Geld und einem Leben mit Frances hin- und hergerissen ist. Bei dem psychopathischen Ron, der mehrmals in psychiatrischer Behandlung war und zudem unberechenbar ist, übertreibt es Hardy mit Gesten und beständig effekthaschend aufgerissenen, leicht verdrehten Augen, so dass sich diese Figur zunehmend in der Redundanz ihrer schlimmen Taten verliert.

Hinzu kommt ein schwaches Drehbuch, das gleich mit der Exposition durch Frances den Fokus auf Reggie und damit den altbekannten Konflikt zwischen Gangstertum und Eheidylle legt. Dennoch wird zunächst die alte Gangsterfilmregel beherzigt, dass Gauner vor allem dann gut erscheinen, wenn sie gegen noch ‚bösere‘ Gangster antreten. Also werden die Gegenspieler der Krays beim gefühl- und gewissenlosen Foltern gezeigt, so dass die Brüder als weitaus bessere Alternative erscheinen. Schließlich sollen sie die Protagonisten des Films sein und anscheinend glaubt Brian Helgeland nicht, dass man einem Film folgt, der unsympathische Hauptfiguren hat. Nachdem dann die ‚böseren‘ Gegenspieler ausgeschaltet sind, rückt der Konflikt zwischen den Brüdern in den Mittelpunkt, bei dem die Zuschreibungen des Guten (Reggie) und Schlechten (Ronald) sehr deutlich verteilt sind. Doch es gibt weiterhin die Erzählerin, die anfangs den Rahmen vorgegeben hat und nun aus dem Off oberflächliche Kommentare zum Gangsterleben verkündet. Helgeland lässt sich anfangs viel Zeit, Reggies Werben um Frances zu zeigen – es lässt ihn als Romantiker erscheinen und verleiht dem Film eine ‚leichtere‘ Note –, jedoch übersieht er, dass er auch von der Ehe erzählen muss, wenn es um Reggies Konflikt zwischen legalem Familienleben und Gangstertum gehen soll. Stattdessen setzt die Entfremdung fast mit der Vermählung ein und Reggies verändertes Verhalten gegenüber Frances ist kaum nachzuvollziehen.

Es ist daher offensichtlich, dass durch Frances als Erzählerin verhindert werden sollte, dass der Film zu düster wird. Aber Legend ist ein Gangsterdrama und so sehr Der Pate, Good Fellas und schließlich L.A. Confidential das Gangsterleben auch romantisieren, es sind nicht gerade leichte feel good movies. Deshalb wäre Legend wesentlich interessanter – und auch moderner – geworden, hätte Helgeland Ronnie in den Mittelpunkt gestellt. Ihm gehören die wenigen originellen Szenen des Films, in denen er beispielsweise gegenüber einem von Meyer Lansky entsandten Mafia-Gewährsmann (Chazz Palminteri) seine Homosexualität deutlich macht, in einem Moment sowohl seine Gewissenlosigkeit als auch emotionale Abhängigkeit von der Anerkennung seines Bruders offenlegt. Reggie ist sadistisch, gewalttätig und liebt seine Mutter (furchteinflößend: Jane Wood), er ist alles andere als ein einfach zu verstehender oder gar heller Charakter, aber mit ihm im Mittepunkt sähen vielleicht weniger Gesten und Plot-Elemente nach Zitaten weitaus größerer Gangsterdramen aus. Denn auch das Produktionsdesign (Tom Conroy) und die Kamera (Dick Pope) wollen das London der 1960er Jahre lebendig werden lassen, aber es drängt sich der Eindruck auf, als würden sich Schauspieler durch Kulissen bewegen. Und selbst hieraus hätte noch ein interessanter Ansatzpunkt werden können, waren doch die Krays weniger für ihre ruchlosen Taten als vielmehr ihre Inszenierung bekannt – der Fotograf David Bailey porträtierte sie, sie gaben Interviews im Fernsehen und wurden stilbildend für Gangster dieser Zeit. Aber auch diese mediale Dimension interessiert Helgeland anscheinend nicht, obwohl ihre Ikonisierung seinen Film sehr beeinflusst hat.

Damit ist Legend ein Film, von dem vor allem die Geschichten in Erinnerung bleiben, die er nicht erzählt. Vermutlich ist es folgerichtig, scheint doch Brian Helgeland selbst nicht genau zu wissen, was er eigentlich erzählen will.
 

Legend (2016)

„Legend“ beginnt mit der Stimme einer Frau aus dem Off. Bei dieser Frau handelt es sich um Frances (Emily Browning), die Erzählerin der Geschichte über die Zwillingsbrüder Reggie und Ronnie Kray (beide Tom Hardy) und zugleich die verstorbene Gattin „ihres“ Reggies.

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