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Wie lebt es sich mit dem Erbe des Holocaust als Jude und Nicht-Jude im heutigen Berlin? Dieser und anderen Fragen geht Alexa Karolinski in „Lebenszeichen“ nach. Die Antworten verwebt sie zu einem essayistischen Dokumentarfilm.

Lebenszeichen - Jüdischsein in Berlin (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Essay mit Unschärfen

In Oma & Bella entführte Alexa Karolinski ihr Publikum in den Alltag zweier betagter Berliner Damen. Das hinreißende Doppelporträt markierte den Auftakt ihrer Trilogie über jüdische Identität in Deutschland. Auf den Tag genau 6 Jahre später startet mit „Lebenszeichen“ der zweite Teil. Dieses Mal erweitert die Filmemacherin den Kreis ihrer Protagonisten, bleibt aber weiterhin nah an ihrem familiären Umfeld.

Teller klappern, eine Frau deckt den Tisch. Die festlich geschmückte Tafel soll Rosch ha-Schana, den jüdischen Neujahrstag einläuten. Die Frau am Geschirr ist Annie Karolinski Donig, die Mutter der Regisseurin. Traditionen sind ihr wichtig. Den richtigen Umgang damit habe sie allerdings erst in Berlin von ihrer Schwiegermutter gelernt, erzählt sie aus dem Off. 1956 im frankokanadischen Montreal als Tochter zweier Holocaust-Überlebender geboren, ist sie 1982 der Liebe wegen als Erste aus ihrer Familie nach Deutschland zurückgekehrt. Für ihre Eltern, die weder deutsche Produkte kauften noch deutsche Autos fuhren, ein Unding.

Die Schoah und das Trauma der Nazi-Herrschaft bleiben das verbindende Element. Vom Gespräch mit ihrer Mutter blendet Karolinski zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, wo sie die französischen Geschwister Mozica und Aurélien Charpy, eine Zufallsbekanntschaft, interviewt. Dann steigt sie mit Professor Siegfried Zielinski in dessen Archiv, um den Einfluss der Miniserie Holocaust (1978) auf die deutsche Öffentlichkeit zu erkunden. Während die französischen Kinder das historische Ausmaß (noch) nicht zu begreifen scheinen, das Mahnmal für seine an Science-Fiction erinnernde Architektur bewundern, veranschaulicht Zielinski klug, was Medien bewirken können, was Sprache mit den Menschen macht. Von seinem Büro aus geht es lose weiter.

Alexa Karolinskis Dokumentarfilm folgt eher essayistischen Pfaden. Als erzählerischer roter Faden dient die Vorbereitung des Neujahrsfests, während der ihre Mutter immer mehr aus der Familiengeschichte preisgibt. Dazwischen schreitet Lebenszeichen Orte jüdischer Identität in und um Berlin ab, befragt Verwandte, Bekannte und am Wegesrand Getroffene. Titel wie Untertitel sind dabei etwas irreführend, zeigt Karolinski doch vor allem Erinnerungsstätten: Mahnmale, Gedenktafeln, Stolpersteine und das Konzentrationslager Sachsenhausen. Aktives jüdisches Leben – ob eine Schule oder eine Synagoge, ob bei der Arbeit oder in der Freizeit – zeigt sie hingegen kaum. Was Jüdischsein im Berlin des 21. Jahrhunderts bedeutet, erschließt sich nicht so recht.

Am ehesten gelingt ihr das noch im Gespräch mit ihrem jüngeren Bruder David. Auf einem Balkon sitzend intoniert er die deutsche Nationalhymne. In einem Fußballstadion vor einem Länderspiel würde er sie dennoch nie mitsingen. Dagegen sträubt sich etwas in dem jungen Mann. Im Alltag ergeht es ihm, einem gebürtigen Deutschen, wie vielen Menschen mit Migrationshintergrund. Aufgrund seiner dunklen Locken ist auch er die Frage gewohnt, wo er denn wirklich herkomme. Soll er darauf „Ich bin jüdisch“ antworten? Begreift er das Judentum als Religion oder als Volk?

Spannende Konflikte wie diese reißt Lebenszeichen lediglich an. Das Verhältnis zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen Erinnerungskultur und fortgeführter Tradition, zwischen dem Schuldgefühl der den Tätern Nachgeborenen und dem Trauma der den Opfern Nachgeborenen stellt der Film nie richtig scharf. Trotz einiger toller Momente (Evelyn Gutman, die am Klavier alte jiddische Lieder singt und erzählt, wie schrecklich absurd sie den Krieg überlebte) und entlarvender Beobachtungen (gedankenverloren bis böswillig agierende Lehrer und Passanten) wirken die für den Film ausgewählten Gesprächspartner und die Fragen, die die Regisseurin ihnen hinter der Kamera stellt, ein wenig zu beliebig und zu nah an Karolinskis persönlichem Umfeld.

Lebenszeichen - Jüdischsein in Berlin (2017)

In ihrem filmischen Essay „Lebenszeichen“ verwebt Alexa Karolinski Ansichten einer Stadt, Autobiografisches und die Aufarbeitung eines historischen Traumas miteinander.

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Meinungen

Marlies Schumacher · 08.10.2018

Bitte um Die Termine wann Jüdischsein in Berlin gezeigt wird in Norddeutschland. Danke