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Giallo-Hommage mit #MeToo-Unterboden: In seinem extravaganten Mix aus Horror- und Psychothriller nimmt sich Edgar Wright einiges vor – und landet so manchen Treffer. Zu einem Glanzstück reicht es am Ende trotz ungemein stylischer Aufmachung allerdings nicht.

Last Night in Soho (2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Blutige Swinging Sixties

Erst Anfang September 2021 lief mit James WansMalignant“ ein Horrorfilm an, der sich tief vor dem stilisierten Giallo-Kino verneigt, jener italienischen Thriller- und Krimi-Variante, in der bevorzugt behandschuhte Mörder mit spitzen Waffen Jagd auf leicht bekleidete Damen machen. Gerade einmal zwei Monate später schlägt Edgar Wrights neue Regiearbeit „Last Night in Soho“ in dieselbe Kerbe, gibt sich aber nicht nur damit zufrieden, die Zuschauer*innen auf eine formal extravagante, teilweise in das London der Swinging Sixties eintauchende Spannungsreise zu schicken. Neben zahlreichen Verweisen und Anspielungen baut der für seine fetzig-zitierwütigen Werke bekannte Brite auch gesellschaftskritische Elemente ein. Konkret im Visier hat er die Erniedrigungs- und Belästigungsstrukturen, denen Frauen ausgesetzt waren und sind.

Seinen Film beginnt Wright mit einem Täuschungsmanöver, das sein Gespür für Stil und Atmosphäre eindrucksvoll beweist. In einem augenscheinlich selbst geschneiderten Kleid tanzt die bei ihrer Großmutter (Rita Tushingham) lebende Eloise „Ellie“ Turner (Thomasin McKenzie) zu den Klängen von A World Without Love durch ihr mit 60er-Jahre-Gegenständen vollgestopftes Zimmer. Im ersten Moment wirkt es so, als befänden wir uns in eben dieser Epoche. Erst verzögert wird klar, dass die Protagonistin „bloß“ ein Fan des Jahrzehnts ist und sich tatsächlich im Hier und Jetzt befindet. In einer Gegenwart, die zunächst eine erfreuliche Überraschung bereithält. Ellie hat einen Platz an einer Hochschule für Modedesign ergattert und darf sich mit dem Gedanken anfreunden, vom ländlichen Cornwall ins pulsierende London zu ziehen.

Bei ihrer Ankunft in der Metropole lassen Wright und Ko-Drehbuchautorin Krysty Wilson-Cairns (1917) die aufgeregte Studienanfängerin gleich eine beklemmende Sexismus-Erfahrung machen. Nachdem der Taxifahrer (Colin Mace), der sie zu ihrem Wohnheim bringen soll, lauter Anzüglichkeiten ausgestoßen hat, verabschiedet er sie mit den Worten, sie hätte nun ihren ersten Stalker. An dieses ungemütliche Erlebnis schließen sich weitere Enttäuschungen an. Denn die meisten Kommiliton*innen lassen sich darüber aus, dass Ellie aus der Provinz kommt, keine teuren Markenklamotten trägt und wenig Sinn fürs Feiern hat. Besserung erhofft sich die Gemobbte von einem Umzug in ein Zimmer, das eine alte Frau (in ihrer letzten Filmrolle: Diana Rigg) am Schwarzen Brett zur Vermietung ausschreibt. 

Über den weiteren Handlungsverlauf sollte man keine Details mehr preisgeben, da Last Night in Soho durchaus einige unerwartete Schlenker nimmt. Nur so viel: In ihrem neuen Domizil, einem aus der Zeit gefallenen Raum unter dem Dach, findet sich Ellie des Nachts in Träumen wieder, die sie in das London der Swinging Sixties entführen und an eine Glücksucherin namens Sandie (Anya Taylor-Joy) binden. Fasziniert beobachtet die Modeliebhaberin das selbstsichere Auftreten der von einer Karriere als Sängerin träumenden Blondine und stellt erstaunt fest, dass sie mit ihr manchmal eins zu sein scheint. Das Abtauchen in die funkelnde Amüsierwelt der Vergangenheit entwickelt sich jedoch mehr und mehr zu einem in die Realität ausgreifenden Horrortrip.

Wie man es vom Popkulturenthusiasten Edgar Wright gewohnt ist, eröffnet Last Night in Soho einen großen filmgeschichtlichen und -stilistischen Assoziationsraum. Der Einfluss der italienischen Gialli drückt sich nicht nur in den expressiven Farbenspielen und den optischen Kunstgriffen, etwa der leitmotivischen Verwendung von Spiegelbildern, aus. Auch in der Erzählung selbst finden sich immer wieder Hinweise darauf, was dem Regisseur als Inspirationsquelle gedient hat. Schon das Modemilieu, die Ankunft einer angehenden Studentin in einer fremden Umgebung und ein gegen Ende zu Tage tretender Wahrnehmungsfehler deuten in die Richtung von Mario Bava und Dario Argento, den wohl prominentesten Vertretern des Giallo-Kinos. Blutige Seide und Suspiria kommen einem als Bezugspunkte unweigerlich in den Sinn. Wahrscheinlich nicht von ungefähr wecken Ellies Großstadterfahrungen zudem Erinnerungen an Roman Polańskis erste englischsprachige Regiearbeit Ekel, in der eine von Catherine Deneuve verkörperte Frau in der Themse-Metropole in eine zerstörerische Abwärtsspirale gerät.

Ähnlich wie in seinem letzten Leinwandwerk Baby Driver, einer lässigen Variation klassischer Gangsterfilmversatzstücke, stimmt Wright seinen mit zahlreichen alten Liedern bestückten Soundtrack nahezu perfekt auf die Handlung ab. Der Swing des damaligen London schwappt jedenfalls in vielen Szenen in den Kinosaal herüber. Freilich auch, weil sich Ausstattung und Kostümbild kräftig ins Zeug legen, um das Flair auf den Straßen und in den Lokalen glaubhaft zu vermitteln.

Einen reizvollen Dreh nimmt Last Night in Soho, sobald die von Ellie idealisierten, nostalgisch verklärten 1960er Jahre nach und nach ihre dunklen Seiten offenbaren. Mit beachtlicher Vehemenz geißelt der nun zum Horrorthriller mutierende Film die Ausbeutungsformen innerhalb der Varieté- und Clubszene und die Erniedrigungen, die die dort arbeitenden Frauen treffen. Männermeuten grölen beim Anblick lasziver, aufreizend gekleideter Tänzerinnen. Und Sandie wird von Milieukenner Jack (diabolisch: Matt Smith) zur Prostitution gezwungen. Unmissverständlich räumt Wright mit der Vorstellung auf, dass die Swinging Sixties ausschließlich eine Zeit der Befreiung waren. 

Einiges an Spannung zieht der ständig zwischen den Ebenen hin- und herspringende Streifen vor allem aus der Frage, aus welchem Grund Ellie an Sandies Leben teilhat. Weniger eindrücklich sind manche wiederkehrende Buh-Effekte, denen sich die Modestudentin in der Gegenwart erwehren muss. Der Gruselfaktor nutzt sich auf Dauer spürbar ab. Kritisch ins Auge sticht auch die recht eindimensionale Zeichnung gewisser Nebenfiguren. Ellies Kommilitonin Jocasta (Synnøve Karlsen) etwa ist der Inbegriff des versnobten Bullys, während John (Michael Ajao) nicht so recht über den Part des von Anfang an herzensguten love interest hinauswächst. Etwas platt ist ferner die Art und Weise, wie der Jahre zurückliegende Selbstmord von Ellies Mutter (Aimée Cassettari) in die Geschichte hineingestrickt wird. Hat man zunächst noch die Hoffnung, der Verlust würde eine emotionale Bedeutung erhalten, entpuppt er sich als schlichtes Erzählmittel, das die altbekannte Genrekarte „Absturz in den Wahnsinn“ als Option ins Spiel bringt. Der Hauptgrund, warum Last Night in Soho trotz schicker Bilder, aufopferungsvoller Darbietungen und eines nicht unoriginellen Rätsel-Plots ein wenig unausgegoren erscheint, ist der in grelle Töne getauchte Schlussakt. Zweifellos möchte Wright mit der knalligen Eskalation den in seiner Story steckenden Schmerz greifbar machen. Das feministische Anliegen des Films wird aber durch die Exzesse ein Stück weit überlagert. Die Tatsache, dass der Zeitreiseschocker überhaupt ernsthafte thematische Ambitionen hat, hebt ihn jedoch schon wieder aus der Masse an Psychohorrorbeiträgen heraus.

Last Night in Soho (2021)

Eine junge Frau interessiert sich leidenschaftlich für Modedesign. Unter mysteriösen Umständen reist sie in der Zeit zurück in die 1960er Jahre, wo sie auf ihr Idol trifft, eine schillernde Möchtegern-Sängerin. Aber das London während der „Swinging Sixties“ ist nicht so, wie es scheint.

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