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Shirin Neshat schickt uns in Zusammenarbeit mit ihrem Co-Regisseur Shoja Azari und ihrem Drehbuchautor Claude Carrière auf einen US-Roadtrip, auf der Suche nach den Träumen der Leute.

Land of Dreams (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Unterwegs mit der Traumfängerin

Simin (Sheila Vand) arbeitet für die Zensusbehörde der Vereinigten Staaten. Sie klopft an Türen, um den Leuten „ein paar Fragen“ zu stellen. Etwa, wie viele Menschen im besuchten Haushalt leben, ob es (erwachsene) Kinder gibt und wo diese inzwischen wohnen. So weit, so gewöhnlich.

Doch spätestens bei Simins Abschlussfrage wird deutlich, dass wir uns hier in einem surrealen Kosmos befinden. Denn die junge Frau mit iranischen Wurzeln bittet die Befragten, ihr im Namen der US-Regierung und, wie es heißt, zur eigenen Sicherheit vom letzten Traum, der noch in Erinnerung ist, zu erzählen. Im weiteren Verlauf lernt Simin diese aufgezeichneten Schilderungen in ihrem Motelzimmer auswendig, übersetzt sie auf Farsi und spielt sie vor einer Kamera in Kostümierung nach, um diese Performances schließlich auf Social Media zu teilen.

Die Besuche der Protagonistin sorgen zuweilen für eine episodische Struktur: Jedes Gespräch zwischen der meist recht introvertiert auftretenden Behördenmitarbeiterin und den befragten Personen würde auch als Kurzfilm funktionieren; Filme, die uns in wenigen Minuten sowohl die äußeren Lebensumstände von Menschen in den eigenen vier Wänden zeigen als auch einen kleinen Einblick ins Innere, in die Traumwelt geben.

So lernen wir etwa das wohlhabende Ehepaar Betty (Anna Gunn) und Bob (Christopher McDonald) kennen, das in einem hübsch-hässlich eingerichteten Haus zwischen allerlei Prunk- und Protzgegenständen wohnt und sich die Zeit vertreibt, indem es in virtuelle Realitäten abtaucht, zum Golfspiel oder hinein in die Rolle des Glamour-Stars Marilyn Monroe. Während sich in dieser Passage der satirische Ton von Land of Dreams erkennen lässt, sind andere Momente stiller und nachdenklicher. Zum Beispiel, wenn die ältere Jackie (Robin Bartlett) in Bezug auf ihre fünf Kinder und elf Enkel:innen meint: „Die haben jetzt alle ihr eigenes Leben“ – und wenig später dann von einem Traum berichtet, bei dem sie sich gefühlt habe, als gäbe es sie nicht.

Ohnehin befassen sich die geschilderten Träume überwiegend mit Ängsten. In einer anderen Situation wird wiederum auf den Punkt gebracht, dass Träume auch eine politische Dimension haben. In illustrer Runde, zu der Simin hinzustößt, lässt die Gesellschaftsdame Jane (Isabella Rossellini) etwa die spitze Bemerkung fallen, dass ihre immigrierte Angestellte ihr erzählt habe, nicht mehr zu träumen, seit sie in diesem Land lebe.

Sind Träume etwas, was wir uns leisten können müssen? Verleihen sie uns Macht? Können sie uns Wärme und Zuversicht spenden? Interessant ist, in welch kalter Atmosphäre der Bürokratie die Traumgeschichten gesammelt werden. Das United States Census Bureau ist ein kafkaesker Ort, an dem Undurchschaubares vor sich geht. Wenn Simin mit einem „schwierigen Auftrag“ bedacht wird und den mürrischen Bodyguard Alan (Matt Dillon) an die Seite gestellt bekommt, ahnen wir, dass diese Behörde fragwürdige Ziele verfolgt.

Die 1957 in der iranischen Stadt Qazvin geborene Foto- und Filmkünstlerin Shirin Neshat (Women Without Men), die seit vielen Jahren in New York lebt, und ihr Lebenspartner und Co-Regisseur Shoja Azari entwerfen in Land of Dreams ein zukünftiges Amerika, das auf visueller Ebene an die Gemälde von Edward Hopper und an die früheren Filme von Wim Wenders (etwa an Paris, Texas) erinnert. Das Drehbuch stammt von dem 2021 verstorbenen Franzosen Claude Carrière (Der diskrete Charme der Bourgeosie) und arbeitet mal locker-humoristisch, mal besonnen und tiefgründig die Ambivalenzen und Traumata der US-Gesellschaft heraus. In einem Regiekommentar erläutert Neshat, der Film drücke die Sichtweise dreier Ausländer:innen auf ein Land aus, das sie zwar lieben, aber gleichsam zu kritisieren wagen.

Mit einer iranischen Migrantin im Zentrum, nuanciert verkörpert von Sheila Vand (A Girl Walks Home Alone at Night), gelingt es Land of Dreams, einen Blick auf die USA zu werfen, der weder beschönigend noch durch und durch niederschmetternd ist. Hier kann es mitten in Amerikas Mittlerem Westen eine Wüste geben und Menschen können auf absurde Weise immer und überall auftauchen – und doch steckt in allem sehr viel Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit.

Land of Dreams (2021)

Die USA in naher Zukunft – ein abgeschottetes Land, in dem nicht einmal mehr das Träumen frei ist. Simin (Sheila Vand), eine iranischstämmige Amerikanerin, arbeitet für die wichtigste Regierungsbehörde ihrer Zeit, das »Census Bureau«. Um die Bevölkerung besser zu verstehen und zu kontrollieren, hat die Regierung ein Programm zur Aufzeichnung der Träume der Bürger·innen gestartet. Simin ist eine der Traumfängerinnen und reist mit ihrem Bodyguard (Matt Dillon) quer durch das Land – zerrissen zwischen ihrer Mission und dem Mitgefühl für diejenigen, deren Träume sie dokumentiert.

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