Log Line

In „L’Amour du Monde“ begleitet Jenna Hasse eine Jugendliche beim Praktikum in einem Kinderheim am Genfersee.

L'Amour du monde - Sehnsucht nach der Welt (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Sommerreise

Margaux (Clarisse Moussa) ist „fast 15“ und hat Ferien. Während ihre Freundinnen Grüße aus dem Italienurlaub schicken, absolviert sie ein Praktikum in einem Kinderheim, obwohl sie – wie sie ganz ehrlich sagt – auch lieber eine Reise gemacht hätte. Die Protagonistin aus Jenna Hasses Langfilmdebüt „L’Amour du Monde“ ist auf den ersten Blick keine typische Rebellin. Sie wirkt zurückhaltend und höflich. Und doch startet Margaux in diesem Sommer am Genfersee eine kleine Revolution – vor allem durch das Knüpfen ungewöhnlicher Freundschaften.

Mit ihrer Kamerafrau Valentina Provini zeigt Hasse viel Feingefühl, um die jugendliche Heldin in einer Lebensphase einzufangen, in der Rollen und Verhaltensmuster noch ausgetestet werden. Wir sehen Margaux etwa, wie sie sich im Kino in einer Retrospektive den alten Abenteuerfilm L’Atlantide (1932) von Georg Wilhelm Pabst ansieht, in dem Brigitte Helm die Herrscherin einer versunkenen Stadt verkörpert. Deren verführerische Art erprobt die 14-Jährige später im nächtlichen Zimmer. Auch prüfende Blicke in den Spiegel deuten auf eine Selbstsuche hin, die in diesem Sommer eine neue Dringlichkeitsstufe erreicht.

Zwei Menschen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Zum einen kümmert sich Margaux im Rahmen ihrer Tätigkeit um die siebenjährige Halbwaise Juliette (Esin Demircan). Zum anderen lernt sie Joël (Marc Oosterhoff) kennen, der eigentlich in Indonesien als Taucher arbeitet, aber bedingt durch den Tod seiner Mutter den Sommer in der Gegend verbringt und als Fischer jobbt. Das Drehbuch, das Hasse zusammen mit Julien Bouissoux und Nicole Stankiewicz geschrieben hat, formuliert die biografischen Hintergründe dieses Trios nicht in aller Ausführlichkeit aus – so wie wir auch bei Leuten, denen wir unverhofft begegnen, nicht sofort alle Details des Lebens erfahren.

Was Margaux, Juliette und Joël verbindet, ist die Trauer – und der Wunsch nach einer Veränderung des Ist-Zustandes. Bei Margaux und Juliette kommt jeweils eine Vaterfigur hinzu, die nicht den Erwartungen entspricht. Wenn Margaux Bekanntschaft mit der neuen Freundin ihres Vaters, der Eventmanagerin Carole (Mélanie Doutey), macht, begehen das Skript und die Inszenierung nicht den Fehler, diese als durch und durch unsympathische Person zu zeichnen. Vielmehr wird allein durch die Mimik und Gestik von Margaux spürbar, dass der Heranwachsenden die Welt ihres Vaters (Filipe Vargas) schlichtweg zu fremd ist, um darin Anschluss zu finden und sich wohlzufühlen.

Im Schwimmbad mit Juliette, beim Basketballspiel im Hof mit den anderen Kindern des Heims, beim Spaziergang am Ufer und bei den Bootstouren mit Joël kann Margaux hingegen eine eigene Identität entwickeln – und Teile davon im nächsten Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes auch einfach wieder über Bord werfen, falls diese ihrem Empfinden nach dann doch nicht so ganz passen. L’Amour du Monde ist ein Coming-of-Age-Film, der seiner Hauptfigur das Ausprobieren zugesteht, der Margaux nicht in eine bestimmte Richtung drängt, sondern ihr das Treiben im Wasser, die aktive Flucht und das stille Beobachten gleichermaßen erlaubt und sie auf dem Weg Erfahrungen und Erkenntnisse sammeln lässt.

Dazu passt, dass das Werk im Laufe der Handlung allmählich die Schönheit der Umgebung entdeckt. Eine mondäne Reise im Stil ihrer Freundinnen, die sich durch schicke Selfies dokumentieren lässt, hat Margaux in diesem Sommer nicht unternommen. Auf andere Weise war sie indes sehr intensiv unterwegs.

L'Amour du monde - Sehnsucht nach der Welt (2023)

Als sich die Teenagerin Margaux mit der siebenjährigen Juliette und einem örtlichen Fischer anfreundet, kippt ihr Sommerurlaub ins Ungewisse. In der ungewöhnlichen Freundschaft erlebt sie Zärtlichkeit und Verspieltheit und lernt sich auf ganz neue Weise kennen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen