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Eine Romanverfilmung über eine Schriftstellerin bei der Arbeit an einem neuen Roman: Ana Girardot spielt Emma, die unkonventionelle Recherchemethoden ausprobiert.

La maison - Haus der Lust (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Lustvolle Lektionen

Bislang hat Anissa Bonnefont Kurzfilme und zwei abendfüllende Dokumentarfilme gedreht; einen über den Modeschöpfer Olivier Rousteing, den anderen über Nadia Nadim, die aus Afghanistan floh und Profifußballerin wurde. Nun hat die 1984 geborene Französin den autobiografischen Roman „La Maison“ ihrer Landsfrau Emma Becker verfilmt. Darin widmet sich die zwischen Paris und Berlin pendelnde Schriftstellerin einem Thema, das nicht zum ersten Mal den Weg auf die große Leinwand findet.

Beckers Buch erschien 2019 auf Französisch bei den Éditions Flammarion, die deutsche Übersetzung folgte ein Jahr später bei Rowohlt. Protagonistin ist die Schriftstellerin Emma (Ana Girardort). Weil sie nach einer Trennung einen Tapetenwechsel brauchte, hat sie ihre Heimatstadt Paris gegen das hippe Berlin eingetauscht. Hier lebt sie in einer Wohngemeinschaft mit ihrer jüngeren Schwester Madeleine (Gina Jimenez) und arbeitet an ihrem neuen Roman. Und weil der sich um käufliche Liebe und weibliche Lust drehen soll, heuert Emma unter dem Nom de Plume Justine kurzentschlossen in einem Berliner Wohnungsbordell an. 

Im „Karussell“ führt die herausgeputzt Hausdame (Ruth Becquart) ein strenges Regiment. Der Besitzer selbst ist nie vor Ort, lässt allerdings durchblicken, dass er mit Emmas Performance, die von Regisseurin Anissa Bonnefont schon mal mithilfe einer subjektiven Kamera vermittelt wird, die verdächtig an POV-Pornos erinnert, unzufrieden ist. Nach einem Vorfall mit einem übergriffigen Freier hat Emma endgültig die Nase voll. Sie wechselt ins „La Maison“, wo nicht nur das allzeit gut aufgelegte Faktotum Inge (Hildegard Schroedter), sondern auch eine positiv gestimmte Gruppe von Mitstreiterinnen um die von Rossy de Palma und Aure Atika gespielten alteingesessenen Prostituierten Brigida und Delilah auf sie wartet.

Klang das Anheuern in einem Bordell zunächst nach einem pragmatischen Rechercheprojekt, offenbart sich schließlich noch ein anderer, persönlicher Grund. Wie uns Ana Girardot in ihrer Rolle als Emma aus dem Off verrät, treibt der Gedanke, sich für Sex bezahlen zu lassen, die Protagonistin schon lange um. Das Erforschen männlicher und weiblicher Lust und der Regeln, denen diese in einem hermetischen Raum wie einem Bordell unterworfen sind, wird für Emma auch zum Erforschen ihrer eigenen Lust – und von Bonnefont erfrischend freizügig und erotisch inszeniert.

La Maison ist nicht der erste Film, der auf dieses Gebiet vorstößt. Bereits in Fucking Berlin (2016) oder in Glück / Bliss (2021), um nur zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zu nennen, heuerten junge Frauen aus freien Stücken in (Berliner) Bordellen an. (Ihre Lage mag jedoch finanziell prekär und emotional aufgewühlt gewesen sein.) Und noch etwas haben alle drei Filme gemein: eine sehr persönliche Perspektive. Wie La Maison basiert auch Fucking Berlin auf einem autobiografischen Roman; die aus Italien stammende Sonia Rossi hat ihn geschrieben. In Glück / Bliss flossen wiederum die Erfahrungen ein, die dessen Regisseurin Henrika Kull bei ihrer eigenen Recherche in Bordellen gesammelt hat. 

Der Schriftstellerin Emma geht es vor allem darum, den Blick auf das Gewerbe zu ändern; darum, nicht von Opfern zu erzählen, sondern von jenen Frauen, die diesen Beruf ein Stück weit auch als Selbstermächtigung und Befreiung begreifen. Dass das beileibe nur auf einen Bruchteil der in der Sexindustrie tätigen Menschen zutrifft und sich die Frauen im „La Maison“ in einer privilegierten Lage finden, dessen sind sie sich und ist sich auch Emma bewusst. Hässliche Episoden, die selbst eine hartgesottene Domina wie Delilah dazu bringen, die Peitsche urplötzlich für immer an den Nagel zu hängen, spart der Film nicht aus. Er versammelt aber auch schöne Momente.

Dazu zählen die Erlebnisse zwischen Emma und Ian (Lucas Englander), den sie auf Tinder kennen- und schließlich lieben lernt und der von Emmas Berufswahl zwar auf dem falschen Fuß erwischt, aber nicht abgeschreckt wird. Dazu zählt ein namenloser Arzt (Wim Willaert), der Emma & Co. unter der Hand mit Rezepten versorgt, wenn das Geld für Medikamente knapp ist. Und last but not least zählt eine Szene dazu, in der Ana Girardot als Emma dem einmal mehr auf seine unnachahmliche Art den Unbeholfenen gebenden Philippe Rebbot als Freier Hermann eine liebevolle Lektion in Lust erteilt. 

Ganz am Ende verabschiedet sich Emma mit einem zwiegespaltenen Urteil aus dem Film, das die zuvor aufgezeigten Machtverhältnisse ein letztes Mal hinterfragt. Lust ist nicht nur eine Ware, sie ist auch eine komplizierte Angelegenheit.

La maison - Haus der Lust (2022)

Die 27-jährige Emma (Ana Girardot), eine ambitionierte Schriftstellerin, möchte einen Roman über das Leben von Sexarbeiterinnen schreiben. Um ihre Geschichte möglichst realistisch und unverfälscht zu Papier bringen zu können, lässt sie sich zu Recherchezwecken in dem renommierten Berliner Bordell La Maison als Prostituierte anstellen. Was als kurzer Ausflug in das Rotlichtmilieu geplant gewesen ist, führt Emma in den kommenden zwei Jahren auf eine intensive Reise voller Lust, Macht und Gefahren. Immer tiefer taucht sie in die sinnliche und verbotene Welt ein, in der sie ihre intimsten Fantasien, weit weg von den Zwängen der Gesellschaft, in vollen Zügen ausleben kann.

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