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Kultur gehöre auch aufs Land, heißt es gerne in politischen Sonntagsreden. Doch wer kümmert sich am Ende und außerhalb der boomenden Metropoloregionen um genau dieses geistige Nahrungsmittel? Es sind Filmenthusiasten wie Klaus Friedrich und Gerhard Göbelt, die als Wanderkinobetreiber losziehen.

Kultourhelden (2021)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Helden für eine Vorstellung 

Peter Greenaway hatte Cineasten wie Filmverleihern oder Festivalmachern den Tod des Kinos bereist in den 1990ern prophezeit. Damals konnte sich das in der Filmwirtschaft im Grunde noch keiner konkret vorstellen: Schließlich schossen beispielsweise im wiedervereinigten Deutschland gerade große Multiplexe aus dem Boden, die Film PR-Werbebudgets waren noch verhältnismäßig und die Zuschauerzahlen blieben in der Relation relativ konstant.

Trotz eines damals schon hundert Jahre alten Medium konnte man en gros schon noch ordentlich Geld damit verdient werden, was zwanzig Jahre sowie eine scheinbar nicht enden wollende Corona-Pandemie später längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Um sage und schreibe 70 Prozent gingen 2020 die Kinoumsätze alleine im EU-Raum zurück, was zweifelsohne einen historischen Negativrekord markiert.

Fortsetzung folgt…Hoffentlich nicht! Davon sind zumindest Gerhard Göbelt und Klaus Friedrich, beide Jahrgang 1956, felsenfest überzeugt. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre ziehen sie als Wanderkinobetreiber über die Dörfer. Vorwiegend zwischen dem Stuttgarter Speckgürtel und der Schwäbischen Alb bespielen sie unermüdlich Gemeindesäle, Turnhallen, Open-Air-Wiesen und sogar Fährschiffe beispielsweise mit einer digitalen Kopie von Die Fischerin vom Bodensee, um wirklich jedem zwischen 0 und 99 Jahren den Zauber einer Kinovorstellung schenken zu können.

Und das tun die beiden ebenso zurückhaltend wie akribisch vorgehenden Kinomacher der anderen Art hierzulande mittlerweile als regelrechte Exoten. Aber immer noch voller Passion, trotz der Sorge um veränderte Sehgehwohnheiten, mühseligen Diskussionen zur Programmauswahl oder schlichtweg die nächste Schlechtwetterprogonose aus dem Radio.

Um all diese Mikrokosmen, den Wechsel vom analogen Filmmaterial ins digitale Vorführungszeitalter und jene Lebenswege dieser beiden Kinopersönlichkeiten mit Lehreramtshintergrund sowie deren mal launige, mal filmgeschichtlich eher belanglose Anekdötchen sozusagen aus der stillsten Reihe deutscher Filmenthusiasten geht es pausenlos in Wolfram Hannemanns No-Budget-Dokumentarfilm Kultourhelden – Vom Ende einer Ära, der selbstredend gerade über die baden-württembergischen Lande zwischen Esslingen, Ludwigsburg und der Schwäbischen Alb tourt. Der Regisseur ist seit seiner Kindheit selbst Kinoenthusiast: Er bloggt über Filme, schreibt Kinokritiken und hatte bereits einen Dokumentarfilm über das eigene berufliche Gewerbe gedreht: Lob ist schwerer als Tadel (2016) über Stuttgarts Filmkritikergarde von heute, zu der er selbst zählt.

Obwohl Hannemanns Regiestil fahrig-lose ist, die schnitttechnischen Mittel im lowest-level-Modus angesiedelt sind und dessen Bildgestaltung zusammen mit Hans-Joachim Pulli ohne kreative, gar überraschende Gestaltungselemente auskommt, was durchaus zu krassen Ermüdungserscheinungen führt, ist doch zumindest der Grundgedanke hinter diesem dokumentarischen Kleinstfilm ohne öffentliche Förderung sowie im Eigenvertrieb hervorzuheben.

Selbst im Rentenalter („Aufpassen auf den Rücken!“) angekommen und ohne Hoffnung auf jugendliche NachfolgerInnen ist es gerade unscheinbaren Kinomachern wie diesen beiden Porträtierten zu verdanken, dass heutzutage überhaupt noch Kinomachen in der tiefsten Provinz stattfindet: selbst in Corona-Zeiten und wenigstens für eine Handvoll ZuschauerInnnen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Horrorfilm in einem Steinbruch? Das meist treue Kinopublikum aus Lenningen, Nürtingen, Eberbach, Brackenhiem, Allershausen oder Oppenweiler dankt es von Herzen.

Die Lücke, die der Teufel lässt (Alexander Kluge) wird spätestens dann in aller kulturpolitischen Härte zu spüren sein, wenn es einmal heißt: Heute fällt die Vorstellung leider aus, weil schlichtweg kein Filmvorführer mehr da ist!

Ein (Kino-)Glück, wer einen der beiden Ein-Mann-Betriebe, die bis 1998 zusammen agierten, noch möglichst lange Zeit vor Ort als Gast begrüßen kann. Danach wird es in diesen ländlich geprägten Regionen Baden-Württembergs nicht nur filmvorführtechnisch leider vielerorts stockdunkel sein.

Schließlich gehört (Kino-)Kultur zur Grundversorgung: erst recht da, wo man sie am wenigsten erwartet. Dasselbe Phänomen hatte einst schon Doris Dörrie in ihrem Langfilmdebüt Ob’s stürmt oder schneit (1976/77) über den bemerkenswerten Ein-Frau-Betrieb Maria Stadlers in Bad Endorf wunderbar eingefangen: Hier brennt sie, die unerschütterliche Liebe zum Kino! Und so ist Wolfram Hannemanns Filmtitel am Ende doch Programm.

Kultourhelden (2021)

Seit den 1980er Jahren bringen sie mit ihren regelmäßigen Touren Kultur aufs Land. Gerhard Göbelt und Klaus Friedrich betreiben ihre Wanderkinos mit großer Leidenschaft. Ob in einer Gemeindehalle, auf der grünen Wiese als Open Air oder gar auf einem Fährschiff – für viele Menschen im ländlichen Raum sind die beiden Kinomacher eine Garantie für ein paar unbeschwerte Stunden mit guter Unterhaltung. Doch das wird sich auf absehbare Zeit ändern. Denn für Göbelt und Friedrich beginnt schon bald das Rentenalter. Und weil es keine Nachfolger für sie gibt, droht nun auch noch das letzte Kulturgut in vielen kleinen Gemeinden Baden-Württembergs wegzubrechen. Der Dokumentarfilm von Wolfram Hannemann porträtiert die unermüdlichen „Kultourhelden“ und versucht sich an einer Bestandsaufnahme ihres Wirkens, das mehrere Jahrzehnte Filmgeschichte umfasst. Entstanden ist der Film in der durch die Corona-Pandemie geprägten Zeit, die auch vor den Wanderkinos keinen Halt machte. (Quelle: Laser Hotline)

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