Kriegerin (2011)

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Ein starkes Debüt

„Nazibraut“ steht auf dem Shirt, das Marisa (Alina Levshin) voller Stolz trägt. Und weil sie sich ihrer Gesinnung ganz gewiss ist, hat sie sich auf ihre Haut gleich eine ganze Reihe von Nazi-Symbolen und -Parolen tätowieren lassen – die Codes einer verschworenen Gemeinschaft, einer Subkultur, die sich bewusst abseits der Gesellschaft gestellt hat, die sie verachtet und bekämpft. Wenn sie nicht im Supermarkt arbeitet, zieht sie mit ihren Freunden durch die Gegend, greift Ausländer in der Regionalbahn an, lauscht bei konspirativen Nazi-Versammlungen den kruden Parolen politischer Rädelsführer und hat keine Ahnung, was sie eigentlich aus ihrem Leben machen will. Erst als sie zwei junge afghanische Flüchtlinge mutwillig anfährt und einer der beiden unerschrocken die Konfrontation mit ihr sucht, gerät sie ins Nachdenken und wendet sich schließlich von ihren Freunden ab. Zur gleichen Zeit lernt sie die Schülerin Svenja (Jella Haase) kennen, die immer tiefer in den Bann der Neonazis gerät – als die eine auszusteigen versucht, ist dies erst der Beginn der Verstrickung der anderen.

David Wnendts Kinodebüt Kriegerin, als Diplomfilm an der HFF „Konrad Wolff“ in Potsdam entstanden, ist vor der Aufdeckung der rechtsextremen Terrorzelle NSU entstanden und kam knapp zwei Monate nach der Festnahme Beate Zschäpes in die Kinos, was das Interesse an dem Stoff noch einmal weiter verstärkte. Mittlerweile sind durch die Ermittlungen zu den Taten der Gruppe zahlreiche neue Erkenntnisse über das rechtsextreme Milieu, vor allem in Ostdeutschland, ans Licht gekommen, sie verändern zwangsläufig auch den Blick auf diesen Film, machen zugleich aber auch seine Schwächen deutlich.

Die liegen in erster Linie in der Figurenzeichnung einzelner Charaktere, in manchen allzu pädagogisch vorgetragenen Dialogpassagen und in einer allzu glatten Dramaturgie begründet: Gerade in der zweiten Hälfte opfert der Film seinen Drive und seine Wucht aus dem ersten Teil einer zunehmend standardisierten TV-Dramaturgie, in der der Gesinnungswandel Marisas durch die Begegnung mit Rasul unverhältnismäßig schnell vonstatten geht. Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen ist die Figur von Marisas Großvater, die hier als wesentlicher Impulsgeber für die rechtsextreme Sozialisierung verantwortlich gemacht wird. Durch diesen küchenpsychologischen Kunstgriff bleibt zu wenig Platz für andere Faktoren wie das ideologische Vakuum, das nach dem Mauerfall entstand, und die miserable wirtschaftliche Lage vor allem in den ländlichen Gegenden. Oder anders gesagt: Statt für die aktuellen Gründe, die Marisa, Svenja und andere in die Arme der Neonazis treiben, begnügt sich der Film mit simplen binnenfamiliären Motivationen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch Svenjas Wandlung von der braven Einser-Schülerin zur überzeugten Nazibraut psychologisch wenig motiviert und lässt zahlreiche Fragen offen.

Dennoch ist Wnendts Film eine Ausnahmeerscheinung im jungen deutschen Kino und in gewisser Weise das Äquivalent zu Shane Meadows Skinhead-Drama This Is England. Insbesondere am Anfang besticht er durch seine ungeheure Wucht und Körperlichkeit, durch seinen genauen Blick auf Milieus, auf Gruppendynamiken und die Lebensverhältnisse junger Neonazis aus dem Osten, die man sich durchaus so vorstellen kann.

Vielleicht sollte man dem Film seine Schwächen aber nicht allzu sehr ankreiden, sondern ihn als ersten Anstoß zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen Milieu begreifen. Durch den Zugang über die Familie als Keimzelle ideologischer Prägung bietet der Film wichtige Ansatzpunkte zur Diskussion gerade mit Jugendlichen, die dann weiter vertieft werden können. Und vergessen wir eines nicht: Kriegerin ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm, der keine fundierte soziologische Analyse bieten will, sondern allenfalls erste Ansätze. Und genau das leistet er ganz ausgezeichnet und sehr eindrücklich.

Der Film zeigt trotz mancher Holprigkeiten und einem sichtlich kleinen Budget, dass das junge deutsche Kino durchaus das Zeug dazu hat, politische und gesellschaftlich relevante Stoffe fast ohne die übliche Gefühslduselei vieler Spielfilmdebüts zu erzählen. Hoffen wir mal, dass damit erst der Anfang gemacht ist. Für den Regisseur David Wnendt, der derzeit an seinem zweiten Spielfilm arbeitet, scheint dies gewiss zu sein.
 

Kriegerin (2011)

Lässt man die Tatöwierungen und den Chelsea Cut außer Acht und ignoriert ihr rabiates Auftreten und die Sätze, die sie von sich gibt, wirkt Marisa (Alina Levshin) nicht gerade wie eine Kriegerin: Eher klein und zierlich und mit einem eigentlich fein geschnittenen Gesicht könnte die junge Frau, die in einem öden Kaff im Osten Deutschlands lebt, eigentlich ein ganz normales Mädchen sein. Könnte, denn sie ist es nicht.

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Meinungen

Mandy · 23.11.2012

Wir haben diesen Film heute in der Schule gesehen und ich finde es extrem heftig, das ein Film wie dieser ab 12 Jahre freigegeben ist.
Ich bin mittlerweile 16 Jahre alt und selbst für mich war mindestens die Hälfte des Films einfach unerträglich. Ich konnte so oft da nicht hingucken, einfach weil es Szenen waren die nicht im Alltag so oft erscheinen.. Es war meiner Meinung nach eine ziemlich große Zumutung, jedoch auch eine sehr interessante Erfahrung. Man hört immer noch von ratzekahl geschorenen Glatzen die Männer tragen und nicht von rechtsradikalen Frauen, die viele Tattoos mit nationalsozialistischen Symbolen & Sprüchen tragen..
Im Endeffekt war die Geschichte sehr sehr gut, leider ein bisschen zu übertrieben und nicht für jeder Mann, aber auf jeden Fall für Leute die sich für so etwas interessieren. Svenja zum Beispiel war eine sehr gute Schülerin, hat geraucht aber rutscht auch nur aus Zufall in die Szene rein und toleriert sie total. Eine Art "Gruppenzwang" durch Ihren Freund.

Fazit: Ein sehr sehr guter gemachter Film, mit nicht so toll anschaulichen Szenen aber sehr interessant. Super gute Schauspieler, die sich ihrer Rolle total hingegeben haben und ein ganz ganz großes Lob an das ganze!

Sven · 16.04.2012

Guter Film - ohne Frage!
Bin gespannt wie lange es dauern wird bis die ertse OI-Band "H.C. Reloaded" covern wird.

Olle Onkel · 26.03.2012

Praty, geile Satire. Trifft genau was ich über den Film denke.

Peter · 17.03.2012

Habe den Film gerade gesehen und muss Jimbo zustimmen dass es besseres Filmmaterial zu diesem Thema gibt, aber...
Alina Levshin brilliert in diesem Werk und wirkt absolut authentisch.
Ich bin mir ehrlich gesagt nicht einmal sicher ob Edward Norton in American History X glaubhafter war (und er war sensationell gut).
Ich denke David Wnendt hätte die Rolle nicht besser besetzen können und für Alina Levshin
könnte es die Rolle ihres Lebens sein.
Mal abgesehen von dem stellenweise doch etwas dünnen Plot und der überzogenen
schwarz/weiß Malerei finde ich den Film definitiv sehenswert.

Fritz · 10.03.2012

So ein Schwachsinn .....

Bettina · 29.02.2012

Ein Film, der in jedes Filmarchiv einer Schule gehört.

Felix · 26.02.2012

Einer der besten Filme der letzten Jahre, speziel auf diesem Gebiet.
Sehr gut !

Jimbo · 31.01.2012

Gute Darsteller, aber schwacher Film. Etwas Spannung hätte dem Streifen gut getan. Kann man sich anschauen, aber zu diesem Thema gibt es besseres Filmmaterial. Befriedigend!

@J.S: · 30.01.2012

Klick mal auf "In welchem Kino läuft dieser Film?" rechts, direkt über den Meinungen. Grüsse, Mike

M.B. · 30.01.2012

Hallo T.B. Ich spreche nicht von einem klassischen "Happy End". Ich finde auch Filme gut, die eben nicht so wahnsinnig "happy" enden. Aber bei "Kriegerin" finde ich es schade, dass die Hoffnung stirbt. Was sollen wir als Zuschauer denn aus dem Film mitnehmen? Dass es keinen Sinn hat einen anderen Weg zu gehen?

T.B. · 29.01.2012

Hey M.B., vielleicht will der Film kein Happy End bieten, weil es eben keine so einfache Lösung aus dieser Situation gibt. Ist für unsere Sehgewohnheiten vielleicht ungewöhnlich, aber letztendlich find ich genau das gut, dass er sich eben nicht hinstellt und meint, die Antwort auf alle Nazifragen zu haben.

J.S. · 28.01.2012

wo läuft der film?

M. B. · 27.01.2012

Ich bin mit sehr hohen Erwartungen in diesen Film gegangen.. zugegeben, vielleicht mit ZU hohen. Denn ich wurde sehr enttäuscht. An sich finde ich den Film gut. Soweit so gut. Nur hat er einige unüberbrückbare Längen..... außerdem bin ich mit keinem guten Gefühl aus dem Kinosaal gegangen.. Denn die Hoffnung, die Marisa schließlich am Ende schöpft und die Kraft auszusteigen, stibt am Ende, mit ihr. Das finde ich sehr schade, denn was soll ich daraus mitnehmen? Dass es keinen Sinn hat sein Denken und Handeln zu überdenken und zu ändern?

Name · 26.01.2012

ich war heute im kino und habe diesen film gesehen! ich kann euch nur raten dasselbe zutun, ich habe geweint und war geschockt, aber dieser film zeigt, was wir tag für tag übersehen...oder übersehen wollen. 100 punkte! wirklich...

DuDu · 26.01.2012

Ich habe den Film noch nicht gesehen, habe aber vor ihn mir vielleicht noch anzuschauen. Aufjedenfall denke ich, dass der Film gut in die gegenwärtige Lage passt und für das Thema "Rechtsradikalismus" sensibilisiert. Ich finde den Kommentar von Praty echt toll und sehe das genauso! Wir sollten alle voneinander lernen und uns gegenseitig respektieren. Eine Gesellschaft, die reich an verschiedenen Kulturen ist, sollte sich glücklich schätzen. Das Arthaus Kino bietet auch Filme aus aller Welt an. Wir sollten sie uns nicht nur anschauen...und danach vergessen; sondern von diesen Filmen lernen. Kunst ist der schönste Ausdruck die menschlichen Bedürfnisse und Probleme darzustellen. Natürlich kann ein Film nicht alle Aspekte abdecken, aber das muss es auch nicht. Cogito ergo sum.

Antifa · 26.01.2012

Diese linksextremen Nazis, von denen der Film handelt, sind unerträglich.

Harald · 24.01.2012

Der Film ist ausgezeichnet, der Kommentar von Praty auf dieser Seite jedoch unerträglich.

Antipiraty · 21.01.2012

Praty - ein Nazi?
Auf jeden Fall feinste Nazi-Rhetorik, die aufgrund ihrer sarkastischen Plumpheit gar so leicht zu erkennen ist. Kommt halt auch von einfältigen und ignoranten Menschen...

Wolf · 21.01.2012

@Praty

Interessanterweise habe ich eine ganz andere Interpretation, habe aber den Film auch (noch) nicht gesehen. Ich sehe keine Lobpreisungen auf Multikulti. Auch sehe ich keine generell ungebildeten Deutschen. Ich sehe (noch) die Darstellung eines real existierenden Problems. Dass Filme prinzipiell keine "Gesamtdarstellungen" und sämtliche Facetten komplexer Probleme und Sachverhalte abbilden können, liegt in der Natur der Sache und ist bekannt. Für interaktive Diskussionen, die mehr ins Detail gehen, gibt es politische Diskussionsforen wie z.B. politopia.de.

Und noch etwas: Hässlich schreibt man mit "ss" und nicht "ß".

Schönen Gruß,

Wolf, ein atheistischer Türke (ja, auch so etwas gibt es!)

Praty · 19.01.2012

Ein mutiger und wichtiger Film, der endlich wieder mal deutlich zeigt, wie sehr wir doch im Westen von den vielfältigen Migranten mit ihrer reichhaltigen Kultur und Herzlichkeit profitieren, die uns vor solch bösen und generell ungebildeten "Deutschen" aka. Nicht-Migranten schützen.

Ich freue mich jedenfalls sehr über die Anwesenheit vieler Muslime und insbesondere Afghanen mit ihren faszinierenden Moscheen im schönen Stuttgart, das sich zu einer echten Multikulti-Metropole mit einem reichhalten internationalen Angebot an Speisen (z. B. Döner mit scharf oder auch ohne scharf) und interessanten Folkloreveranstaltungen wie Kurden vs. Türken oder Albaner vs. Serben entwickelt hat.

Und ja, solche häßlichen Nazi-Tattoos findet man bei Deutschen leider ständig, daher mein großes Lob für diese realistische Darstellung. Viva Multikulti!