Kleine Wunder in Athen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Krisen der Griechen

Wenn diese drei Männer, von denen Filippos Tsitos in seiner wunderbar hintersinnigen Komödie Kleine Wunder in Athen erzählt, in irgendeiner Weise repräsentativ sind für die griechische Ökonomie, dann darf einen die desolate wirtschaftliche Lage des Landes nicht wundern, vor der derzeit die gesamte EU zittert: Stavros (Antonis Kafetzopoulos) und seine drei Freunde betreiben allesamt kleine Läden in einem heruntergekommenen Bezirk Athens. Wobei ihre Tätigkeit im Wesentlichen daraus besteht, morgens einen Gartentisch und vier Stühle vor Stavros Geschäft aufzubauen, sich dort hinzusetzen und dem Tag beim Verstreichen zuzusehen. Dass sie dabei überaus intelligent über das Leben räsonieren würden, kann man nicht gerade behaupten. Und so erschließt sich der Titel des Films weniger durch die vermeintlichen Philosophen, als vielmehr dadurch, dass Stavros’ Laden ebenso wie die Geschäfte seiner Freunde in dem Athener Stadtteil Akadimia Platonos liegt. Vom Einfluss der antiken Philosophenschule ist hier allerdings wenig zu spüren. Stattdessen ergehen sich Stavros und seine Freunde in Erinnerungen an längst vergangene Rockkonzerte und mokieren sich über die Chinesen, die in ihrem Viertel in Windeseile und mit viel Engagement ein Ladengeschäft umbauen und eröffnen. Denn bei aller griechischen Offenheit, die die Stadtverwaltung mit einem „Denkmal für Interkulturelle Solidarität“ in „ihrem Viertel“ festzementieren will – dem Fremden und vor allem dem Neuen stehen Stavros’ Freunde eher misstrauisch gegenüber und pflegen lieber ihre Vorurteile. So wundert es wenig, dass einer der von ihnen seinem Hund namens „Patriot“ beigebracht hat, alle Albaner zu verbellen – was Stavros zwar nicht billigt. Doch das Kläffen des Spürhundes mit der feinen Nase für die kleinen kulturellen Unterschiede bringt ihn schnell zum Schweigen.
Doch genau darin liegt der Knackpunkt: Eines Tages nämlich taucht einer der wenig gelittenen Albaner namens Marengelen (der Name setzt sich aus Marx, Engels und Lenin zusammen; gespielt wird der sympathische Mann von Anastasis Kozdine) auf und behauptet frech, Stavros’ Bruder zu sein. Zu allem Überfluss beginnt die betagte und von einem Schlaganfall gezeichnete Mutter des solchermaßen Beschuldigten (hinreißend: Titika Saringouli) wie aus heiterem Himmel, albanisch zu sprechen und den Eindringling ins familiäre Glück wie ihren eigenen Sohn zu behandeln. Stavros kann all das gar nicht glauben, doch war er nicht schon immer derjenige, der von Patriot verbellt wurde, fragen sich seine Freunde und gehen ein wenig auf Abstand. Als sich die Verdachtsmomente häufen, gerät die festgefügte kleine Welt von Akadimia Platonos gerät jedenfalls ziemlich ins Wanken.

„Albaner, Albaner, ihr werdet niemals Griechen sein!“, hört man die Kumpane in einer Szene dieses Films anstimmen, als die beiden benachbarten Staaten bei einem Fußballspiel aufeinander treffen. Stavros grölt fröhlich mit und ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie schnell er sich plötzlich auf der anderen Seite befinden kann, in der Rolle des Diskriminierten und Geächteten. Wenn es ihm bislang mühevoll zu verbergen gelang, dass sein Leben mit der dementen Mutter und der Ex-Frau, die er immer noch liebt, bereits reichlich desolat ist, so gerät nun unter dem Eindruck der Ereignisse alles ins Wanken. Erfreulich dabei ist, dass auch die schlichten Weltbilder seiner Freunde bald schon erhebliche Risse aufweisen. Hin und her gerissen zwischen der nicht sonderlich tiefgehenden Freundschaft und ihren eigenen Vorurteilen wissen sie schon bald nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen.

Bezeichnend und erfrischend ist dabei vor allem, dass Selbstwahrnehmung und die Realität längst in erheblichem Maße auseinandergedriftet sind. Die Ausländer, die wir hier sehen, sind keineswegs arbeitsscheues Gesindel, sondern derart fleißig und geschäftstüchtig, dass den satten und selbstzufriedenen Griechen nur das Nachsehen bleibt. Zumal sich Stavros und seine Freunde in keiner Weise darum bemühen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Ein chinesischer Geschäftsmann, der Stavros‘ Laden kaufen will, bringt es dementsprechend auf den Punkt: Da der Grieche ja sowieso den ganzen Tag nur vor seinem Laden herumsitze und kein Geld verdiene, könne Stavros ja auch ihm sein Geschäft verkaufen und so wenigstens durch die Mieteinnahmen etwas verdienen. Klar, dass Stavros das Ansinnen des Asiaten ablehnt. Denn selbst wenn die Analyse des chinesischen Geschäftsmannes den Nagel auf den Kopf trifft – man hat ja schließlich seinen Stolz. Und der stirbt bekanntlich nie.

An manchen Stellen fühlt man sich – allein schon wegen des Personals in Kleine Wunder in Athen – an Kevin Smiths Kultkomödie Clerks – Die Ladenhüter (1994) erinnert, an anderer Stelle greift Tsitos zum eher staubtrockenen Humor eines Aki Kaurismäki und mischt seiner schrägen und widerborstigen Komödie dezent melancholische und stille Momente bei. Dennoch bleibt er stets nahe bei seinen Figuren, die trotz ihrer diversen Macken niemals unsympathisch wirken – allenfalls ein wenig eigen. Kein Wunder also, dass man diesen Film auf vielerlei Weisen genießen kann: Vordergründig als leichte Komödie, die sich erst auf den zweiten und dritten Blick als messerscharfer Blick auf die griechische Gesellschaft und als feine Parabel auf Vorurteile und die Schwierigkeiten des alltäglichen Zusammenlebens entpuppt.

In Griechenland sollte Kleine Wunder in Athen allein wegen seiner treffenden Beschreibung der griechischen Gesellschaft und ihrer Verwerfungen eigentlich zum Pflichtprogramm in den Kinos gehören. Vor allzu viel Schadenfreude über das einfache Weltbild von nebenan sollte man sich aber in Acht nehmen – hierzulande stößt man allenthalben auf ähnliches Geschwätz und verkennt dabei wie in Griechenland die Realitäten. Und genau das macht diesen Film zu einem ganz bemerkenswerten Erlebnis: Zwar schildert er punktgenau die griechische Mentalität. Doch er könnte genauso gut auch in Belgien, England oder eben in Deutschland spielen.

Kleine Wunder in Athen

Wenn diese drei Männer, von denen Filippos Tsitos in seiner wunderbar hintersinnigen Komödie „Kleine Wunder in Athen“ erzählt, in irgendeiner Weise repräsentativ sind für die griechische Ökonomie, dann darf einen die desolate wirtschaftliche Lage des Landes nicht wundern, vor der derzeit die gesamte EU zittert:
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Meinungen

Sabine Vlamis · 15.08.2013

Ein hervorragender Film, der die Lage und Mentalitäten gerade heute noch genau auf den Punkt bringt - wunderbar.
Ein nicht in Griechenland lebender Zuschauer sollte "open minded" daruaf zugehen ;)

@Jan · 28.07.2010

Klar, wir haben nichts besseres zu tun, als Fake-Einträge zu schreiben. Grüsse, Mike

Jan Axtner · 28.07.2010

Wow! Ich war wohl vorgestern im Kino, bloß kann ich mich daran gar nicht mehr erinnern. Komisch, dachte immer ich sei der Einzige "Jan Axtner" auf der Welt. Oder sind die Einträge getürckt?

JAN AXTNER · 26.07.2010

Schnippisch und Comedytauglich, haben einen recht amüsanten Film erlebt. Mit einigen Leerlauefen, deswegen Note 2-

Tina · 23.07.2010

langweilig und dümmlich