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Was hat die eigene Generation im Leben erreicht? Um diese Frage zu beantworten, ist die Regisseurin Yael Reuveny von ihrem Wohnort Berlin in ihren israelischen Geburtsort gereist und hat ehemalige Mitschüler:innen befragt. Ein Film übers Hoffen und Hadern.

Kinder der Hoffnung (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Das Tor der Hoffnung offen halten

Die Shoah lässt auch die Nachgeborenen nicht los. In den vergangenen zehn Jahren ist eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen entstanden, in denen sich Filmschaffende aus der dritten Generation mit der Generation ihrer Eltern und Großeltern, mit der Shoah, mit Israel und Deutschland auseinandersetzen. Oft geht es um jüdisches Leben in Deutschland oder um ein Leben als Israeli:n in der Fremde, kurzum um die Frage, wie und wo man leben kann, soll und möchte. Yael Reuveny, 1980 in Petah Tikva geboren, lebt seit 15 Jahren in Berlin. In ihrem zweiten langen Dokumentarfilm geht sie den umgekehrten Weg. Sie befragt die Daheimgebliebenen.

An ihren Eltern und Großeltern hatte sich Yael Reuveny bereits in Schnee von gestern (2014) abgearbeitet. Jetzt sind ihre ehemaligen Mitschüler:innen an der Reihe. Ein Foto aus dem Jahr 1988, das Reuvenys Grundschulklasse zeigt, ist der Ausgangspunkt ihres neuen Films. Was ist aus diesen Kindern geworden, die in Petah Tikva, der Stadt mit dem wunderschönen Namen „Tor der Hoffnung“, gemeinsam die Schulbank gedrückt haben? Haben sich ihre Hoffnungen erfüllt? Und haben sie die Hoffnungen erfüllt, die ihr Land in sie gesetzt hat?

In den folgenden knapp anderthalb Stunden versucht die Regisseurin, die Antwort darauf zu ergründen. Mal im Dialog mit ihren ehemaligen Mitschüler:innen, mal mit den eigenen Gefühlen und Gedanken ringend in einem Kommentar aus dem Off. Die Antwort lautet wohl am ehesten: jein. Von vornherein wird klar, welch hoher Druck auf dieser Generation lastet(e), obwohl oder gerade weil sie die bis dato freieste Generation war. Ging es bei ihren Großeltern ums nackte Überleben und bei ihren Eltern darum, einen neuen Staat aufzubauen und diesen gegen Angriffe von außen zu verteidigen, geht es bei Reuveny und Co. im Grunde nur noch ums „richtige“ Leben. Doch wie lebt man richtig, wenn alle Welt so große Hoffnungen in einen setzt?

Die einen haben die Erwartungen erfüllt, andere haben sich arrangiert, obwohl sie mit vielem unzufrieden sind. Die Entwicklung ihres Heimatorts spiegelt die Entwicklung des gesamten Landes. Petah Tikva wurde einst als jüdische Bauernsiedlung gegründet, wuchs zu einem ansehnlichen Städtchen für die neu entstandene Mittelschicht heran und ist heute die fünftgrößte Stadt Israels. Nur wenige Kilometer von Tel Aviv entfernt, dominieren Hochhäuser das Stadtbild. Eine prosperierende, aber auch geschichts- und gesichtslose Metropole.

Viele von Reuvenys einstigen Klassenkamerad:innen leben immer noch dort. Die Regisseurin besucht sie zu Hause, trifft sich auf einen Drink in einer Bar oder auf einen Plausch auf dem Pausenhof ihrer alten Schule. Schnell wird klar, wie tief die Erziehung alle geprägt hat. Ohne es bewusst zu tun, haben die meisten eben jenen Weg eingeschlagen, den ihre Großeltern, Eltern und die Gesellschaft von ihnen erwartet haben: einen (nützlichen) Beruf erlernen, heiraten, (möglichst viele) Kinder bekommen, dem Staat etwas zurückgeben. Wer keine Kinder bekommen will oder kann, fühlt sich nicht selten so, als habe er sein Land verraten. Ein Leben im Ausland ist ein Leben im „Exil“.

Der stete Wechsel aus aktuellen Interviews, Archivaufnahmen und Gedanken der Regisseurin verdichtet sich ganz gemächlich zu einem komplexen Bild einer Generation, der es gut geht und die trotzdem mit sich hadert. „Wir waren uns sicher, die Generation zu sein, die den Krieg beenden würde“, sagt Reuveny einmal, als sie sich an die Aufbruchsstimmung erinnert, die in den 1990ern herrschte, als der Frieden mit den Palästinensern zum Greifen nahe war. Am Ende kam es anders. Und die Zukunft ist ungewiss.

In einer der stärksten Episoden ist Reuveny bei den Eltern eines ehemaligen Mitschülers zu Gast, der als Soldat während der zweiten Intifada fiel. Sein Tod liegt beinahe zwei Jahrzehnte zurück und immer noch treffen sich viele seiner Freunde bis heute jedes Wochenende bei dessen Eltern, bringen ihre Ehepartner mit, die sie inzwischen geheiratet und ihre Kinder, die sie inzwischen bekommen haben. Die Treffen halten das Andenken an den verstorbenen Mitschüler lebendig – rufen aber auch immer wach, dass es so wie ihm auch ihren Kindern einmal ergehen könnte. Es sind diese Zwiespälte von Hoffen und Bangen, die den Film prägen und ungemein sehenswert machen. Sie bringen das Gefühl dieser Generation auf den Punkt.

Die Regisseurin formuliert es so: „Wir sprechen nicht gerne über die Zukunft. Wenn wir an unser Land denken, zucken wir mit den Schultern oder rollen die Augen oder erlauben uns einen Moment jener bittersüßen Verzweiflung, die uns so vertraut ist.“ All dieser bittersüßen Verzweiflung zum Trotz gibt Yael Reuveny die Hoffnung nicht auf. Dafür ist der Name ihres Geburtsorts viel zu schön.

Kinder der Hoffnung (2021)

32 Kinder einer israelischen Schulklasse posieren 1988 für ein Foto. Als sich ihre Wege trennen, sind sie voller Hoffnung auf Frieden. In Super-8-Aufnahmen aus der Kindheit und pointierten Kurzporträts ihrer damaligen Mitschüler*innen reflektiert die Filmemacherin ihr eigenes Selbstverständnis und das ihrer Generation. „Warum gibt es keinen Frieden mit den Palästinensern?“, ist nur eine der vielen Fragen. (Quelle: Film Kino Text)

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