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Eine Auftragskillerin gerät ins Visier ihrer eigenen Organisation. Byun Sung-hyuns Action-Thriller Kill Boksoon verwebt eine persönliche Identitätskrise und einen ästhetischen Gewaltdiskurs zum klugen Unterhaltungskino.

Kill Boksoon (2023)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Das Morden war schon leichter

Fairness muss sein, auch beim Todesduell. Boksoon (Jeon Do-yeon) nimmt die Lehre ihrer Tochter (Kim Si-A) ernst und hat dem entblößten Yakuza-Boss sogar ein Kopfkissen gelassen. Splitterfasernackt liegt er auf dem Asphalt. Entführt, soeben aufgewacht, jetzt muss er sich seiner Peinigerin im Nahkampf stellen: Samurai-Schwert gegen Axt. Regisseur und Drehbuchautor Byun Sung-hyun („Kingmaker“) spannt das Publikum in seinem Thriller nicht lange auf die Folter, bis Menschen in ausgeklügelten und rabiaten Kampfchoreographien aufeinander losgehen. Folgerichtig, schließlich geht es in „Kill Boksoon“ genau darum: großes, mitreißendes Spektakel!

Byun Sung-hyun entwirft eine Welt, in der Auftragsmorde als „Show“ bezeichnet werden. Im Fernsehen stürzen sich Reporter auf die Sensation, wenn irgendwo wieder eine Leiche auftaucht. Aus Gewalt wird Kunst. Gil Boksoon, der Protagonistin dieses südkoreanischen Thrillers, macht darin niemand etwas vor. Sie ist eine Meistermörderin, angestellt bei einer Agentur, die für ihre Klienten die Drecksarbeit erledigt. Doch wie es sich für solche Geschichten gehört, kommt es, wie es kommen muss: Der Ruhm von Boksoon bröckelt. Ein Auftrag geht schief, die Killerin verweigert den Dienst und wird selbst zur Gejagten.

Was sich zunächst nach Stangenware anhört, entpuppt sich als äußerst raffiniertes Stück Genrekino, das auf vielschichtige Weise private und systemische Konflikte ineinanderfließen lässt. Kill Boksoon zeigt seine Protagonistin als eine Figur mit Ecken und Kanten, die mit ihrer Doppelrolle hadert. Wenn sie mit anderen Bekannten beim Kaffeekranz zusammensitzt und Urlaubsgeschichten lauscht, denkt sie an ihre ganz eigenen Geschäftsreisen und schon flackert das nächste Bild einer durchtrennten Kehle auf. Ein gutes Vorbild für ihre Tochter?

Kill Boksoon schließt daraus jedoch nicht etwa die sexistische Annahme, seine Protagonistin wäre als Hausfrau besser bedient. Nein, hier geht es um das Durchkreuzen von Rollenmustern und den Versuch, die eigenen Regeln und Grauzonen zu etablieren. Als Mutter ist Gil von der Chefetage längst abgeschrieben. Man denkt, sie sei verweichlicht, seit ihre Tochter zur Welt kam. Und in der Tat: Zwar beharrt Boksoon darauf, das Morden sei leichter als Kindererziehung, doch die blutige Arbeit ging auch schon leichter von der Hand.

Alles eine Frage des schlechten Gewissens also? Mitnichten! Gerade der Generationenkonflikt, der sich mit Boksoons Tochter Jae-young entspinnt, ist deshalb klug gewählt, weil er das Zweifeln an der Gewalt auf eine größere Ebene hievt. Byun Sung-hyun nutzt das Mafia- und Gangstermilieu, um etwas über ein Gesellschaftssystem zu erzählen, das vom Fressen-und-Gefressen-Werden lebt. Entweder man lernt, sich das gewaltsame Durchsetzen für den persönlichen Aufstieg anzueignen oder man endet im Raubtierkäfig. Wenn Boksoons Tochter bereits im Schulalltag mit solchen Mechanismen in Berührung kommt, wird die Lage brisant. Und natürlich ist Inszenierung alles! Das Inszenieren von Macht, Dominanz, Klassenzugehörigkeit beginnt hier bei makelloser Kleidung und endet beim grausig drapierten Opfer.

Betörend schön sind die Gewaltakte mitunter anzusehen. Menschen prügeln und zerstechen sich in bunt beleuchteten Kneipen, während Schnee durch ein Loch in der Decke rieselt. In einer Szene gehen Boksoon und eine Schülerin in künstlicher Kulisse aufeinander los: Körper raufen zu Gitarrenklängen, der Boden schaukelt seekrank auf und ab. Gewalt als expressiver Tanz. Anderswo kreist die Kamera in langen Einstellungen um die Mörder. Die Welt ist ein Computerspiel, eine Simulation. Oder aber: eine einzige „Show“.

Es liegt eine gewisse Doppelmoral darin, wie lange solche Einfälle ohne größere formale Brüche auskommen. Sie gefallen sich durchaus in ihren Attraktionen, erinnern in den Choreographien mal an verstörende Gewaltexzesse à la The Raid und The Night Comes For Us oder überzeichnen bis zum Slapstick und Fun-Splatter. Vielleicht kommt eine kritischere Beschäftigung mit diesen Schauwerten über weite Strecken noch zu kurz und würde bedeutend mehr Potenzial bergen, um über die ein oder andere Länge und Wiederholung im Mittelteil hinwegzutrösten.

Dabei weiß Byun Sung-hyun offensichtlich um den blinden Fleck, den seine stilisierte Gewalt mit sich bringt. In der aufregendsten Szene des Films kommt sein Medium selbstreflexiv zu sich. Da spielen Blicke Situationen durch, spalten sich Figuren immer weiter in Doppelgänger auf, um ein Dutzend Tode zu sterben. Na klar, nur im Film ist das auf solche Weise möglich. Bis jene Blicke das eigene Spiel erkennen. Eine Kamera tritt da konsequent in den Fokus. Der Erkenntnisprozess, den Kill Boksoon in über zwei Stunden erzählt, entwickelt damit eine beachtliche emotionale Wucht. Gerade, weil er sich jederzeit beide Optionen offen hält: Geht es hier um einen Akt des Aufbegehrens, einen Ausbruch aus dem Hamsterrad? Oder nur um das Erkennen dessen, was ohnehin schon längst verloren ist?    

Kill Boksoon (2023)

Eine Auftragsmörderin ist eine alleinerziehende Mutter mit einer Tochter im Teenageralter. Im Vergleich zur Kindererziehung ist Morden das reinste Kinderspiel.

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