Khadak

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das blaue Band des Himmels

Die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Freiheit, Ungebundenheit und nach einem Leben in Einklang mit der Natur und den eigenen Fähigkeiten — dies alles erscheint in unserer heutigen durchreglementierten und durchzivilisierten Welt wie eine Illusion, die in weite Ferne gerückt ist. Doch es gibt sie noch, die Sehnsuchtsorte auf der Welt, in denen genau das möglich scheint: Die Mongolei beispielsweise ist solch ein Paradies. Aber auch hier machen sich die Gefährdungen des modernen Lebens bemerkbar und drohen das fragile Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu zerbrechen. Von dieser Situation erzählen Peter Brosens und Jessica Woodworth in ihrem neuen Film Khadak, mit dem sie nach preisgekrönten Dokumentationen wie City of the Steppes (1993), State of Dogs (1998) und Poets of Mongolia (1999) erstmals einen Spielfilm über die Mongolei realisierten.
Im Mittelpunkt des Films steht der 17-järhige Bagi (Batzul Khayankhyarvaa), der gemeinsam mit seiner Mutter (Dugarsuren Dagvadorj) und seinem Großvater (Damchaa Banzar) irgendwo in der unendlichen Steppe lebt und eine kleine Herde besitzt. Bagi verfügt über erstaunliche Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, rein intuitiv den Verbleib eines verschwundenen Tieres selbst in großer Entfernung zu erahnen. Dies und gelegentliche epileptische Anfälle, veranlassen Bagis Großvater zu der Vermutung, der Junge verfüge über die Befähigung zum Schamanen, was bei dem Betroffenen aber auf Ablehnung stößt. Doch das nomadische Leben der drei ist in Gefahr: Wegen einer vorgeblichen Tierseuche werden sie wie andere Hirten auch in triste Bergarbeiterstädte umgesiedelt.

Bagi flieht gemeinsam mit der Kohlendiebin Zolzaya (Tsetsegee Byamba) aus dem Ort, wird aber geschnappt und landet nach der Zwischenstation eines Zwangsarbeitslagers in der Psychiatrie, wo man ihn von seiner Epilepsie heilen will. Dort allerdings erwachen Bagis schamanistische Fähigkeiten zu neuem Leben, sie zeigen ihm die befremdliche Kraft seiner Vorstellungswelt und machen aus ihm einen Anführer gegen das System, das die Nomaden ihrer altehrwürdigen Lebensform berauben will.

Der Khadak, von dem der Film seinen Titel erhalten hat, ist ein zeremonielles Halstuch für buddhistische Rituale und symbolisiert die Allgegenwart des Himmels, der nach dem Glauben der Mongolen der wahre Richter über das Tun und Handeln der Menschen ist. Immer wieder finden sich in dem Film von Peter Brosens und Jessica Woodworth solche Symbole, die westlichen Zuschauern nicht immer geläufig sein werden und die ein volles Verständnis des Films für Nichteingeweihte schwer machen. Und so bleibt manches Bild kryptisch und eröffnet sich erst bei näherer Beschäftigung mit der Vorstellungswelt der Mongolen zu voller Bedeutung. Dass der Film trotz dieses Mankos zu faszinieren weiß, ist vor allem seinen atemberaubenden Bilder von selten gesehener Suggestivkraft zu verdanken, die an große Vorbilder gemahnen, an Fellini, Tarkovskij, Koyaanisqatsi von Godfrey Reggio und andere Meister des Erhabenen.

Was den Film mit den zitierten Vorbildern weiterhin eint: So unstrittig die formalen Qualitäten auch sein mögen, so sehr erfordert und fördert die Geschichte die Bereitschaft, sich auf fremde Kulturen, Traditionen und eine andere Art des Denkens einzulassen. Und mancher Zuschauer wird vermutlich an diesen Herausforderungen scheitern, muss dies sogar beinahe zwangsläufig tun – so groß ist die Hermetik der Symbole und die Fremdheit der beschriebenen mythologischen Traumwelten. Mit Khadak haben Peter Brosens und Jessica Woodworth ihr bisheriges filmisches Schaffen, das sich ausschließlich der fremden Welt der mongolischen Steppe verschrieben hat, durch ein echtes Juwel der Bildgestaltung gekrönt. Über die Geschichte hingegen darf man durchaus unterschiedlicher Auffassung sein.

Khadak

Die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Freiheit, Ungebundenheit und nach einem Leben in Einklang mit der Natur und den eigenen Fähigkeiten — dies alles erscheint in unserer heutigen durchreglementierten und durchzivilisierten Welt wie eine Illusion, die in weite Ferne gerückt ist.
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Meinungen

Stefan · 01.05.2008

also ich fand ihn wahnsinnig beeindruckend und teile nicht die meinung der vorher geposteten meinung. dass die mongolische landschaft nur eine metapher ist für die ganze welt hätte sich dem Herrn eigentlich schon erschließen sollen. habe seit langem nicht mehr so ein sprachloses publikum gesehen, das vollständig bis zum abklingen des letzten tons sitzenbleibt. klar ist allerdings, das ist programmkino für fortgeschrittene.

Gast 2 · 17.04.2008

Der Film dauert gefühlte drei Stunden.

Klischeeüberladene, propagandistische Bilder, die mir erzählen was ich schon ahnte, Steppe=gut, Neubaustadt=böse.

Die Regisseure haben keine Story zu erzählen und wissen wenig über ihre Figuren. Ich finde es bedenklich wenn westliche Filmemacher das lokale Kolorit anderer Länder für ihre "nichterzählten" Geschichten missbrauchen.

· 16.04.2008

Ich habe den Film eher zufällig gesehen, und konnte nicht viel damit anfangen.

Na klar, es gibt dieses durch den Sozialismus heruntergewirtschaftete Land, das ist wohl eine Realität, und das Leben ebenso wie die Bilder in der Stadt wirken dementsprechend extrem trist und hoffnungslos. Aber bei aller berechtigten Sozialkritik fehlt mir der persönliche Zugang zu den Figuren, sie bleiben seltsam flach - vielleicht auch, weil so wenig gesprochen wird.

Die Schamanen-Rituale fand ich grotesk und abstoßend, da fehlt mir wohl Einiges an Vorinformation. Was diesen Bereich des Films angeht, hätte ich mir ein behutsameres, und dem Zuschauer verständlicheres Herangehen gewünscht, und letztlich auch ein weniger distanzloses, vorsichtigeres Zeigen der mongolischen Kultur und Philosophie.

Die Bilder fand ich gut, und ganz besonders gefallen haben mir die großartigen Gesichter der alten Mongolen (am Anfang des Films).

Trotzdem fehlte mir die Seele in diesem Film. Und etwas weniger Ernsthaftigkeit, ein kleines Augenzwinkern, hätte ihm m.E. gut getan.