Kein großes Ding

Eine Filmkritik von Alina Impe

Fake-Bohème und Lidl-Tüten

Welches ist das bekannteste Wahrzeichen Berlins? Der Fernsehturm? Der Reichstag? Oder das Brandenburger Tor? Aus der Ferne mag dies zutreffen, doch wer einmal das Menschengewimmel der Hauptstadt aus der Nähe betrachtet hat, erkennt zwangsläufig noch etwas anderes im Stadtbild, das für Berlin symptomatisch ist: Der Jutebeutel. Dieser ist nicht nur vor allem bei jüngeren Berlinern nach wie vor sehr beliebt; dank seinen unzähligen Beschriftungsmöglichkeiten verkörpert er auch für seine Träger Statement und Lebensgefühl in einem. „Music was my first love“ oder „Du hast Angst vorm Hermannplatz“ sind hierfür äußerst treffende Beispiele. Echt stark. Wer lieber auf Understatement setzt, trägt stattdessen einen formschönen Sparkassenbeutel oder einen mit dem Schriftzug der HanseMerkur-Versicherung. Weil: Ironie kommt immer gut.
Es geht aber noch krasser, noch hipper, noch ironischer. Wie, das zeigt Klaus Lemkes neuester Spielfilmwurf Kein großes Ding, der beim achtung berlin seine Premiere erlebt. Lemke hat seinen Protagonisten Mahmoud mit einem kaputten Lidl-Plastikbeutel ausgestattet, den dieser sorgsam mit Gaffer Tape repariert hat. Das ist nicht nur ironisch, sondern auch noch extrem umweltbewusst und konsumkritisch. Wow, welch ein Anti-Understatement.

Mahmoud kommt gerade aus dem Gefängnis, wo er zwei Jahre wegen Filmpiraterie gesessen hat. Zufällig trifft er auf den Exgrower und Teilzeitstripper Henning, der Mahmouds Talent für James Brown-Imitationen sofort erkennt und den Ex-Knacki groß rausbringen will. Wer übrigens nicht weiß, was ein Exgrower ist: Das ist ein Mensch, der vormals seinen Lebensunterhalt mit dem illegalen Anbau von Marihuana bestritten hat. Außerdem gibt es da noch eine hübsche Berliner Göre namens Tini, die sich total in Mahmoud verschossen hat und ihm damit maximal auf die Nerven geht.

Dass diese haarsträubende Geschichte wenig bis gar keinen Sinn ergibt, ist aber überhaupt kein Problem. Das muss nämlich so. Dit is Berlin. Lakonisch, aber wahr. Sinnhaftigkeit wird sowieso überbewertet. Lemke schert sich daher auch nicht groß um den Plot seiner augenzwinkernden Milieustudie. Dafür spürt man als Zuschauer umso mehr, wie sehr ihm trotz aller Stereotypisierung seine Figuren am Herzen liegen. Das Paradebeispiel dafür ist und bleibt Mahmoud. Der ist nicht nur Hipster, sondern Hyperhipster, was hauptsächlich daran erkennbar wird, dass er sich mit nichts und niemandem arrangieren kann: Für ihn ist Tini kein fleischgewordener Männertraum, sondern die „ästhetische Antithese“ von dem, was Mahmoud künstlerisch vermitteln will. Überhaupt kann er die ganzen „Fakes“ nicht mehr ertragen, die ständig ungefragt in seinem Leben auftauchen. Verständlich, dass Mahmoud den Großteil seiner Zeit mit cholerischen Anfällen verbringt. Selten war eine eigentlich tragische Figur, die mit ihrem widersinnigen Authentizitäts-Credo sich selbst das Leben zur Hölle macht, so amüsant anzuschauen.

Aber was heißt schon Authentizität in einer Metropole, in der auf den Hype stets der Antihype folgt, in der immer alle anderen die Hipster sind (nur man selbst nicht), und in der niemand mehr so recht beurteilen kann, wo cool aufhört und uncool anfängt. Fakt ist: Berlin ist eine Stadt, in der scheißegal und superwichtig sich gegenseitig nicht ausschließen. Vieles ist demnach superscheißegalwichtig. Fast jeder hat ein Projekt, eine Idee oder einen Plan, um sich als Teil dieser urbanen Gemeinschaft von (Über-)Lebenskünstlern zu fühlen – je aussichtsloser das Unterfangen, desto besser.

Klaus Lemkes Film ist „kein großes Ding“, sondern die kleingehaltene und feingezeichnete Karikatur eines Hauptstadt-Mikrokosmos, auf dessen Nährboden Exzentrik und Individualismus ungebremst vor sich hin wuchern. Gerade als jutebeuteltragender Berliner sollte man sich den Film daher unbedingt anschauen. Ein bisschen Selbstironie hat schließlich noch keinem geschadet.

Kein großes Ding

Welches ist das bekannteste Wahrzeichen Berlins? Der Fernsehturm? Der Reichstag? Oder das Brandenburger Tor? Aus der Ferne mag dies zutreffen, doch wer einmal das Menschengewimmel der Hauptstadt aus der Nähe betrachtet hat, erkennt zwangsläufig noch etwas anderes im Stadtbild, das für Berlin symptomatisch ist: Der Jutebeutel.
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