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Die Armee, die Apartheid, Kirchenmusik und Boy George – wie all das zusammenpasst, zeigt Christiaan Olwagen in seinem dritten Spielfilm. Eine Tragikomödie – irgendwo zwischen Coming-of-Age und Coming-out.

Kanarie (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Army Chameleon

Die Namen klingen für deutsche Ohren vertraut: Müller, Otterman, Koch, Engelbrecht. Und doch entführt Regisseur Christiaan Olwagen sein Publikum in eine Welt, die all jenen fremd erscheinen muss, die sich nicht selbst durchlebt und durchlitten haben. Es ist 1985. In Südafrika ist die Apartheid auf ihrem Höhepunkt angelangt und zugleich im Niedergang begriffen. Olwagen schildert den Umbruch durch die Augen eines 18-jährigen Soldaten. Dessen Name könnte nicht passender gewählt sein, ist er im großen Gesellschaftsgetriebe doch nur ein unbedeutendes Rädchen.

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Johan Niemand (Schalk Bezuidenhout) lebt im verschlafenen Städtchen Villiersdorp. Für eine Handvoll Südafrikanischer Rand als Wetteinsatz (denn Geld für die neueste Platte von Depeche Mode oder Culture Club kann er immer gebrauchen) tanzt er wie Boy George geschminkt im Brautkleid über die Straße. Eine erste, fein choreografierte und inszenierte Musicaleinlage legt dieses Coming-of-Age-Drama hier aufs Parkett. Weitere folgen. Denn Olwagen zaubert ein musikalisches Coming-out, eine queere Armee-Dramödie auf den Heimkinoschirm.

Als Johan der Einberufungsbescheid zum Wehrdienst ins Haus flattert, spreizt er erstmals seine Flügel. Um gefährlichen Einsätzen zu entgehen, singt er bei den „Kanarienvögeln“, einem angesehenen christlichen Soldatenchor, vor. Dort lernt er den herzensguten Solisten Ludolf (Germandt Geldenhuys) kennen und den selbstbewussten Wolfgang (Hannes Otto) lieben und macht schmerzliche Bekanntschaft mit der Grundausbildung. Drill und Kasernenton machen auch vor den Chorknaben keinen Halt. Die übrigen Soldaten beschimpfen Johan und Co. als „Schwuchteln“. Halt bietet ihm neben der Kirchen- vor allem die Popmusik.

Um die Bedeutung eines so unbedeutenden Gegenstands wie einer Schallplatte zu verstehen, lohnt ein Blick ins Bonusmaterial der DVD. In drei kurzen Interviews geben Olwagen, sein Co-Autor und Komponist Charl-Johan Lingenfelder und ihr ausführender Produzent Roelof Storm einen kleinen Eindruck vom Filmdreh und von der Zeit ihrer Spielhandlung. Das Fernsehen hielt in Südafrika erst 1976 (!) Einzug und mit ihm ein zuvor verwehrter Zugang zur übrigen Welt. Ins Land geschmuggelte, kopierte und unter der Hand weitergereichte Popmusik wälzte die Jugendkultur von unten um. Für Johan bedeutet sie alles. Wenn Boy George die Geschlechternormen vom Kopf auf die Füße stellen kann, vielleicht kann er das dann ebenfalls.

Kanarie ist Olwagens dritter abendfüllender Spielfilm als Regisseur. Nach dem Drama Johnny is nie dood nie (2016) nach einem Stück von Malan Steyn und der Tschechow-Adaption The Seagull (2018) atmet auch Kanarie viel Theaterluft. Olwagen erzählt szenisch, zwar mit schmalem Budget, aber breit gefächerten Ideen. In oft langen Einstellungen durchmisst Chris Vermaaks agile Kamera den bühnenartigen Raum. Johan ist darin gefangen. Bis zuletzt hat er ausschließlich zu Weißen Kontakt. Jeder Widerspruch wird im Keim erstickt.

Schalk Bezuidenhout als eingesperrter Paradiesvogel, der mit sich selbst, seiner Religion, seiner Sexualität und seinem Land ringt, und in der Armee lieber als Chamäleon abtaucht als aufzufallen, ist eine Entdeckung. Im Gegensatz zu seinem Protagonisten hebt dieses feinfühlige Drama allerdings nie vollends ab.

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