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In „Jean Paul Gaultier: Freak and Chic“ fängt Yann L’Hénoret die Entstehung einer Revue ein – und liefert damit auch ein dokumentarisches Porträt des titelgebenden Modeschöpfers.

Jean Paul Gaultier: Freak & Chic (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Fulminanz des Freak-Seins

Über den 1952 geborenen französischen Modeschöpfer Jean Paul Gaultier gäbe es gewiss viel zu erzählen. Mit Archivaufnahmen, die Einblicke in seine Kreationen und Haute-Couture-Entwürfe geben würden, und in die oftmals aufsehenerregenden Happenings, in denen diese der Fashion-Welt präsentiert wurden, sowie mit Ausschnitten aus filmischen Werken wie „Die Stadt der verlorenen Kinder“ und „Das fünfte Element“, für welche Gaultier die Kostüme entwarf, ließe sich – in Verbindung mit dem Aufstieg des Künstlers zum Gründer eines nach ihm benannten, äußerst erfolgreichen Modeunternehmens – wohl problemlos ein kurzweiliger Dokumentarfilm füllen.

Der Regisseur und Kameramann Yann L’Hénoret wählt indes für sein Werk Jean Paul Gaultier: Freak and Chic einen anderen Weg, um uns Gaultier vorzustellen. Er hat die Entstehungszeit von Gaultiers Fashion Freak Show im Pariser Varietétheater Folies Bergère bis zur Premiere begleitet. Sein Film ist dadurch zum einen ein rund 90-minütiges Making-of, das uns die extravaganten Modestücke sowie die Arbeit aller Beteiligten, von der Schneiderin bis zum Model, zeigt und dabei selbstverständlich nicht mit großen Namen geizt: Von der französischen Grande Dame Catherine Deneuve über die Almodóvar-Stammschauspielerin Rossy de Palma bis hin zur Pop-Queen Madonna sind alle Berühmtheiten, die man mit Glamour in Verbindung bringt, dabei. Zum anderen ist Jean Paul Gaultier: Freak and Chic trotz eines gänzlichen Verzichts auf Archivmaterial aber doch auch ein dokumentarisches Porträt geworden – da sich Gaultier in seiner Show sehr intensiv mit seinem eigenen Werdegang befasst.

Unter der Regie der erst kürzlich verstorbenen Schauspielerin und Filmemacherin Tonie Marshall (Schöne Venus) hat Gaultier eine Show konzipiert, in welcher es nicht nur um seine Arbeit in allen Facetten geht, sondern auch um sein Leben. So etwa um seine Schulzeit, in der er sich stets als Außenseiter gefühlt hat, oder um seine erste große Liebe zu einem jungen Mann. Statt Bildern des jugendlichen Gaultier bekommen wir hier den adoleszenten Victor Brunstein zu sehen, der für die Show in die Rolle Gaultiers als Teenager schlüpft. Die aufwändig in Szene gesetzte Revue mit etlichen Film-Einspielern, Musik, Tanz, Licht und natürlich reichlich opulenten Kostümen ist eine farbenfrohe Feier des Andersseins – auch wenn dabei manche Idee etwas oberflächlich und abgedroschen daherkommt, wie zum Beispiel eine Striptease-Nummer, in welcher sich eine Tänzerin zum Song It’s a Man’s Man’s Man’s World lasziv aus einem Herrenanzug schält. Eindrücklich ist jedoch, wie die Show ganz nebenbei an mehrere Jahrzehnte der Popkultur erinnert. Auch von Gaultiers Einsatz für den Kampf gegen Aids wird erzählt; 1990 verlor Gaultier seinen langjährigen Lebens- und Geschäftspartner Francis Menuge an die Krankheit.

Insgesamt hätte L’Hénorets Werk eine eigenständigere Handschrift gutgetan; der Film orientiert sich letztlich zu eng am Stil von Gaultiers Show und ist somit in erster Linie ein Appetitanreger für das Pariser Spektakel. Interessant bleibt jedoch die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zugleich als biografisches Porträt anzulegen. Und als Demonstration von Gaultiers visuellen Fähigkeiten ist Jean Paul Gaultier: Freak and Chic in jedem Fall sehenswert.

Jean Paul Gaultier: Freak & Chic (2019)

Dokumentarfilm über den weltberühmten Modedesigner Jean-Paul Gaultier und dessen „Fashion Freak Show“.

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