Jamie Marks Is Dead

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Geist im Kleiderschrank

Jamie Marks Is Dead ist eine Adaption des Christopher-Barzak-Romans One for Sorrow (2007); für Drehbuch und Regie zeichnet der als Modefotograf bekannte Carter Smith verantwortlich. Dessen Langfilmdebüt Ruinen aus dem Jahre 2008 war ein solides Horrorwerk – der Nachfolger ist nun weitaus mehr als das: eine subtile Melange aus Teenagerdrama und Fantasy, in welcher es Smith gelingt, eine Geschichte über das Übersinnliche absolut stimmig in einer monoton-realistischen Szenerie zu verorten. Mit seinem Kameramann Darren Lew hat der Writer-Director Bilder gefunden, in denen sich das Ländlich-Periphere und das Fantastisch-Nebulöse so zwingend ineinanderfügen, als seien sie für sich allein gar nicht (mehr) denkbar.
Auf der Suche nach Steinen für ihre Sammlung entdeckt die junge Gracie (Morgan Saylor) am Flussufer den fast gänzlich entkleideten Leichnam des Highschool-Außenseiters Jamie (Noah Silver). Der verschlossene Junge litt unter dem Mobbing seiner Mitschüler; die Umstände seines Todes sind zunächst völlig unklar. Der sportliche Adam (Cameron Monaghan) kannte Jamie kaum – dennoch spürt er zu diesem plötzlich eine unerklärliche Verbundenheit. Schließlich erscheint Adam der Geist von Jamie, zuerst in der Ferne, dann im eigenen Kleiderschrank. Handelt es sich nur um eine Einbildung – oder benötigt Jamie in einer Welt zwischen Dies- und Jenseits tatsächlich Adams Hilfe?

Wird im Kino (oder auf Direct-to-DVD-Wegen) von Geistern erzählt, werden meist allerlei Inszenierungsklischees aus der filmischen Vorratskammer geholt. Im Hauptstrang von Jamie Marks Is Dead meidet Smith erfreulicherweise alles Formelhafte des Ghost-Movie-Subgenres. Die metaphysische Begegnung zwischen Adam und Jamie wird klug genutzt, um ein doppeltes Psychogramm zu entwerfen. Dabei gewinnt die Literaturverfilmung eine erstaunliche emotionale Dichte. Die drei begabten jugendlichen Darsteller Monaghan, Silver und Saylor liefern sensible Interpretationen, in denen sie auf harten Konfrontationskurs mit den zahlreichen Traumata gehen, die einen Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens erwarten. Die Dreiecksbeziehung, die zwischen Adam, Jamie und Gracie entsteht, ist spannungsreich und fernab von herkömmlichen Mustern. Sehr gut!

Weniger nuanciert als der Main Plot sind die beiden Nebenstränge des Films. Liv Tyler ist als Adams Mutter zu sehen, die nach einem Autounfall an den Rollstuhl gefesselt ist und ein enges Verhältnis zu der Frau aufbaut, die den Unfall verursacht hat. Diese Figur wird von Judy Greer derart überspitzt verkörpert, dass man glauben könnte, sie stamme aus einem ganz anderen, weniger feinsinnigen Werk als das restliche zentrale Personal. Der Erzählton wirkt hier recht unentschlossen. Ebenfalls deutlich reizloser als die differenziert umgesetzte Hauptlinie ist die Story um die zornig-bedrohliche Geisterfrau Frances (Madisen Beaty) – weil Smith in diesen Passagen überwiegend mit den konventionellen Mitteln des Gruselkinos arbeitet. Gleichwohl können diese Schwächen den positiven Eindruck nur bedingt trüben. Jamie Marks Is Dead ist sehenswert und wuchtig, bietet komplex konzipierte Protagonisten in einer konfliktreichen Konstellation und zeigt die US-Provinz auf faszinierende Weise als Hotspot der Tristesse und der Angst, der man sich im Coming-of-Age-Prozess zu stellen hat.

Jamie Marks Is Dead

„Jamie Marks Is Dead“ ist eine Adaption des Christopher-Barzak-Romans „One for Sorrow“ (2007); für Drehbuch und Regie zeichnet der als Modefotograf bekannte Carter Smith verantwortlich. Dessen Langfilmdebüt „Ruinen“ aus dem Jahre 2008 war ein solides Horrorwerk – der Nachfolger ist nun weitaus mehr als das: eine subtile Melange aus Teenagerdrama und Fantasy, in welcher es Smith gelingt, eine Geschichte über das Übersinnliche absolut stimmig in einer monoton-realistischen Szenerie zu verorten.
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