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Als Ivies Halbschwester Naomi plötzlich vor der Tür steht und mit ihr an die Beerdigung ihres gemeinsamen afrikanischen Vaters möchte, löst das in ihr eine Identitätskrise aus. In ihrem Spielfilmdebüt verarbeitet Sarah Blaßkiewitz eigene Erfahrungen als afrodeutsche Frau.

Ivie wie Ivie (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Selbstbild und Außenbild

Ivie (Haley Louise Jones), ihre beste Freundin Anne (Anne Haug) und ihr Ex Ingo (Maximilian Brauer) kennen sich, seit sie Jugendliche sind. Sie wirken wie eine unzertrennliche Einheit, teilen sowohl Freuden als auch Sorgen. In Leipzig versucht jeder von ihnen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden: Anne als Zollbeamtin, Ingo als Solariuminhaber und Ivie als Lehrerin. Während es bei ihren Freunden einigermaßen zu klappen scheint, kassiert Ivie eine Absage nach der anderen. Dies liegt nicht daran, dass sie die poteztiellen Arbeitgeber nicht von sich überzeugen könnte, sondern aus Ivies Sicht an den falschen Gründen.

Bei den Vorstellungsgesprächen fällt das Gespräch nämlich systematisch auf ihre ethnische Herkunft. Von ihrem Äußeren her, ihrer dunklen Hautfarbe und den gekrausten schwarzen Haaren, lässt sich eine afrikanische Abstammung vermuten, die sie selbst nicht thematisiert, sich aber darauf reduziert findet. Zu stolz, um sich daraus einen Vorteil zu sichern, zieht sich Ivie immer mehr frustriert zurück. Von ihr wird die Rolle der kulturellen Vermittlerin gefordert, die sie weder spielen will noch kann. Als dann auch noch ihre vermeintliche Halbschwester Naomi (Lorna Ishema) auftaucht, die mit ihr zur Beerdigung ihres gemeinsamen afrikanischen Vaters fahren möchte, den Ivie nie kennengelernt hat, ist die Krise komplett.

Auf humorvolle und dennoch sensible Weise verarbeitet Sarah Blaßkiewitz in ihrem Spielfilmdebüt Ivie wie Ivie ihre eigenen Erfahrungen als afrodeutsche Frau. Sie hat sich mit den Schwestern Ivie und Naomi gleich zwei Alter-Egos geschaffen, die verschiedene Perspektiven auf ein komplexes Thema werfen. Die Konzentration liegt auf den Dialogen, weswegen die Form reduziert ist, die Kamera sehr nahe an die Protagonisten hält und keine untermalende Musik weder künstlich Spannung erzeugt noch vom Wesentlichen ablenkt.

Blaßkiewitz‘ Film leistet einen differenzierten und unbedingt notwendigen Beitrag zur aktuellen Diskussion in der (nicht nur) deutschen Gesellschaft, die den strukturellen und alltagsbasierten Rassismus betrifft. So wesentlich, nachdenklich und unbequem die aufgeworfenen Fragen auch sein mögen, nie verfällt die Geschichte in einen moralisierenden oder belehrenden Tonfall. Vielmehr hinterfragt sich die Autorin konstant selbst und weiß, dass sie nur ein paar der zahlreichen Facetten der Thematik besprechen kann.

Die Hauptfigur Ivie durchlebt einen außergewöhnlichen Wandel. Sie hat dreißig Jahre lang ein Leben geführt, das man als „funktionierend“ bezeichnen könnte. Aufgewachsen in einem weitgehend „weiß genormten“ Umfeld, war sie immer integrierter Teil davon. Doch muss erst jemand von außen kommen, um Ivie aufzuzeigen, was ihr eigentlich schon die ganze Zeit gefehlt hat und was sie alleine nicht hätte benennen können. Sie merkt in der Konfrontation mit Naomi, die ihre eigenen Erfahrungen in Bezug auf ihre mehrkulturelle Sozialisierung gemacht hat, dass sie Dinge akzeptiert hat, die sie eigentlich stören.

Ivies Freunde haben ihr den Kosenamen „Schoko“ gegeben und schaffen damit die banalste Assoziation zwischen dunkler Hautfarbe und Schokolade. Was sich im Freundeskreis als vertraut anfühlt, irritiert von außen. Auch wenn das Beispiel ein wenig naiv, oder besser harmlos, ausgewählt ist, verweist hier der Film auf Auseinandersetzungen, die seit Jahren die Menschen polarisieren. Welche Wörter oder Bezeichnungen für bestimmte Ethnien oder Menschengruppen an sich dürfen, sollen oder müssen verwendet werden? Der Diskurs über sprachliche Regelungen fällt immer heftig aus, da er einfach aus politisch-opportunistischen Gründen missbraucht werden kann, was den ernsthaften Kern verwässert.

Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, ihn zu führen, solange weiter Fragen im Raum stehen, die einen Menschen nicht nach ihrer Leistung oder ihrem Charakter beurteilen, sondern nach ihrer Herkunft oder ihrem Äußeren. Es geht in Ivie wie Ivie um die Oberflächlichkeit der Vorurteile, die das gesellschaftliche Miteinander bestimmen. „Woher kommen Sie?“, das ist eine Frage, die viele in Bedrängnis bringt. Entweder, weil es darauf keine eindeutige Antwort gibt oder weil sie glauben, sich damit für einen Teil ihrer Identität rechtfertigen zu müssen. Für die anderen ist es oft eine harmlos gemeinte Frage, die Neugierde ausdrückt und auch den Wunsch, mit einer exotischen Geschichte konfrontiert zu werden. Dabei eine gemeinsame Ebene zu finden, ist schwer.

Der Film zeigt auf, dass es hierfür keine einfache oder abschließende Lösung gibt. Auch wenn die Geschichte harmonisch endet, vielleicht ein wenig zu harmonisch, bleibt das Bewusstsein, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leisten kann, um festgefahrene Vorstellungen und unbewusste Verhaltensmuster zu hinterfragen. Ivies Freund Ingo sieht es pragmatisch: Ivie soll sich die Aufmerksamkeit, die ihrem Anderssein geschuldet ist, zunutze machen. Im Grunde ist das ein guter Vorschlag, der im Einklang mit der positiven Note steht, die Blaßkiewitz anschlägt. Sie ermutigt dazu, die Unterschiede und Eigenschaften, die auch durch eine vielschichtigen Herkunft bestimmt sind, anzuerkennen und zu teilen.

Wirft man, abgesehen von der Thematik, einen Blick auf die formale Ebene, fallen bei Ivie wie Ivie ein paar Ungeschicklichkeiten auf. Diese betreffen einige Textstellen, die, in den grundsätzlich recht unmittelbar und authentisch wirkenden Dialogen, etwas forciert klingen. Der Einsatz des Sächsischen ist, zudem bemerkt, zu unsystematisch und wirkt deswegen zu konstruiert. Im Dialekt lässt die Autorin die Figuren sprechen, die den konservativen Gegenpart zu den Hauptprotagonisten einnehmen, was sie etwas lächerlich und schwerfällig macht. Ansprechend ist das bildästhetische Konzept des Films, das mit gedeckten Farben arbeitet und insgesamt einen verstaubten Eindruck vermittelt, der sich in der Gestaltung von Ingos Solarium oder in der Verwendung veralteter Technik wie dem Gameboy auf der Toilette fortsetzt.

Ivie wie Ivie (2021)

Die afrodeutsche Ivie, von ihren Freunden ‚Schoko‘ genannt, wohnt mit ihrer besten Freundin Anne in Leipzig und arbeitet übergangsweise im Solarium ihres Ex-Freundes Ingo, während sie noch auf der Suche nach einer festen Anstellung als Lehrerin ist. Plötzlich steht ihre – ihr bis dahin unbekannte – Berliner Halbschwester Naomi vor der Tür und konfrontiert sie mit dem Tod des gemeinsamen Vaters und dessen anstehender Beerdigung im Senegal. Während die Schwestern sich langsam kennenlernen, stellt Ivie zunehmend nicht nur ihren Spitznamen, sondern auch ihr Selbstbild infrage. (Quelle: First Steps)

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