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In „Treasure“ schickt Julia von Heinz das Duo Stephen Fry und Lena Dunham auf eine Fahrt durch Polen – tief in die Vergangenheit.

Treasure (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Tochter-Vater-Reise

Bereits in ihren Filmen „Hannas Reise“ (2013) und „Und morgen die ganze Welt“ (2020) hat sich die Regisseurin Julia von Heinz gemeinsam mit ihrem Co-Autor John Quester mit Vergangenheitsbewältigung und den damit einhergehenden Schwierigkeiten befasst. In ihrem neuen Werk „Treasure“ setzt sie ihre Überlegungen fort – dieses Mal auf Basis eines autobiografischen Romans. Die australisch-amerikanische Journalistin Lily Brett verarbeitete in der 2001 veröffentlichten literarischen Vorlage Zu viele Männer eine Reise nach Polen, die sie mit ihrem Vater, einem Holocaust-Überlebenden, unternommen hatte.

In der Leinwandadaption wird das zentrale Duo, Vater Edek und Tochter Ruth, von Stephen Fry und Lena Dunham verkörpert. Und schon diese Kombination hat etwas sehr Reizvolles, da sie nicht unbedingt naheliegend ist. Die feministische Allrounderin, die clevere Texte schreibt, die HBO-Serie Girls geschaffen hat und mit Zigarre und Badass-Blick in einem Video von Taylor Swift zu sehen ist, und der britische Edelmime, Komiker und Schriftsteller, nach dem ein Asteroid benannt wurde – ja, das mag erst auf den zweiten oder dritten Blick ein stimmiges Gespann vor der Kamera sein. Es funktioniert hier aber ausgesprochen gut. Vor allem deshalb, weil beide in ihren Rollen nicht um die Gunst des Publikums buhlen, sondern die anstrengend-enervierenden Züge ihrer Figuren zulassen.

Im Jahre 1991 fliegen Edek und Ruth von New York nach Warschau. Ruth hat zahlreiche Bücher im Gepäck und möchte sich auf die Spuren der Vergangenheit begeben – etwa in Łódź, der einstigen Heimatstadt ihres Vaters, und im damaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, in das Edek und seine Familie vor circa 50 Jahren deportiert wurden. Die 36-jährige Musikjournalistin hat einen strengen Plan und eine genaue Vorstellung davon, wie der Trip vonstattengehen soll. Edek scheint dieses Vorhaben unterlaufen zu wollen. Während Ruth zuweilen ziemlich rechthaberisch und ihrem Umfeld gegenüber eher abweisend anmutet, wirkt Edeks Umgang mit der Tochter oft übergriffig und sein Verhalten im Allgemeinen recht jovial.

Das Skript und die Inszenierung ergreifen jedoch keine Partei. Die Frage, in welcher Form und mit welchen Mitteln der Vergangenheit begegnet werden sollte, beantwortet der Film nicht letztgültig – im Wissen, dass es keine einzig richtige Antwort darauf geben kann. Wenn das Vater-Tochter-Duo etwa das Haus aufsucht, in dem Edek seine Kindheit verbracht hat und das unmittelbar nach der Vertreibung von einer anderen polnischen Familie in Anspruch genommen wurde, reagieren die beiden gänzlich unterschiedlich auf die Situation. Ruth kauft den Leuten alle Gegenstände ab, die noch aus der früheren Zeit stammen; für Edek scheint es indes unbegreiflich zu sein, was seine Tochter mit einer „blöden Teekanne“ von damals will. Die beiden verletzen einander mitunter durch ihre jeweils eigene Art und das gegenseitige Unverständnis. Gegen Ende wird es dann womöglich etwas zu versöhnlich und sentimental.

Treasure entfernt sich nicht allzu weit von den Formeln einer Roadmovie-Erzählung. Er ist nicht frei von Klischees. Dank Fry und Dunham sowie Zbigniew Zamachowski als Taxifahrer Stefan, der die beiden Hauptfiguren durchs Land fährt, wird allerdings eine einnehmende Atmosphäre erzeugt, die neben den Stärken des zugrundeliegenden Romans auch die Qualitäten des Schauspiel-Duos im Mittelpunkt vereint: Die amerikanische Dunham-Exzentrik und die britische Fry-Beschwingtheit machen diese Reise zu einem Film, der mit trotzigem Humor ein ernstes Thema behandelt und uns erkennen lässt, dass es zwar nicht den einen korrekten Weg gibt, mit dem, was gewesen ist, umzugehen – dass es aber fraglos wichtig ist, das Vergangene niemals zu vergessen.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Treasure (2024)

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unternimmt die Musikjournalistin Ruth gemeinsam mit ihrem Vater Edek, einem Holocaust-Überlebenden, eine Rundreise durch dessen Heimatland Polen. Ihr Weg führt sie nach Warschau, Łódź, Krakau und ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Ruth will die eigenen Wurzeln kennenlernen und die Vergangenheit ihrer Familie erkunden. Edek, der damals die Entscheidung traf, Polen für immer zu verlassen und mit der Vergangenheit abzuschließen, begleitet seine Tochter vor allem, um ein Auge auf sie zu haben. Der charmante Bonvivant verfolgt auf der Reise sein eigenes amüsantes Programm aus Zerstreuung und Unterhaltung. Erst als die beiden das ehemalige Haus der Familie aufsuchen und dort der polnischen Familie begegnen, die es heute bewohnt, ändert er seine Haltung. Vater und Tochter nähern sich einander zum ersten Mal wirklich an. Die Reise zweier New Yorker durch das postsozialistische Polen zeigt eindrucksvoll, dass Wiederannäherung an eine schmerzhafte Vergangenheit nicht zwangsläufig schmerzhaft sein muss. (Quelle: Berlinale)

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