Initiation

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

"Der letzte freie Radikale"

In der ohnehin recht schillernden österreichischen Filmszene gilt Peter Kern schon seit vielen Jahr als (je nach Blickwinkel) liebens- oder hassenswertes Enfant terrible, dessen Filme stets am Rande des guten Geschmacks und in den Schattenreichen jenseits der staatlichen Filmförderung polarisierten, weil sie derb waren, theatralisch, ordinär, rüde, bis an die Grenzen des Erträglichen plakativ — und immer subversiv und unbequem. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert – Gottlob. Und so ist auch sein neuester Film Blutsfreund, der auf der Berlinale noch unter dem Titel Blutsfreundschaft zu sehen war, ein echter Kern.
Die Story des Films ist schnell erzählt: Alex (Harry Lampl) ist 16 Jahre alt und hat ständig Zoff mit seinem Stiefvater, der schließlich darin mündet, dass der Junge die Schule hinschmeißt und sich auf der Straße wieder findet – ohne Unterkunft, ohne Perspektive. Alex gerät in die Fänge einer Gruppe von Neonazis, die der aufstrebenden rechtspopulistischen Gruppierung RWT („Österreichs Partei für Recht, Würde und Tugend“) nahe stehen. Ohne von den dumpfen Parolen der Nazis überzeugt zu sein, aber durchaus fasziniert von ihrer latenten Gewalt, schließt er sich ihnen an und bleibt doch immer ein wenig auf Distanz. Bis es bei einem Überfall auf einen Suppenküche für Obdachlose zu einem Unglück kommt und Alex flüchten muss. Prompt landet er bei dem alten Wäschereibesitzer Gustav Tritzinsky (Helmut Berger), der den Jungen ebenso selbstverständlich bei sich aufnimmt wie vorher die Barfrau Christina Thürmer (Melanie Kretschmann), die eigentlich ein Mann ist und nur noch auf ihre Geschlechtsumwandlung wartet. Was Alex anfangs nicht weiß: Tritzinsky ist schwul. Und Alex erinnert den alten Mann fatal an dessen erste Liebe, den er einst an die Gestapo verriet…

Thematisch wie ästhetisch bietet Peter Kerns Film ein buntes Sammelsurium an Motiven, Themen und Inszenierungsstilen: Schwuler Sex und (Neo)Nazismus, das Erstarken der Rechtspopulisten wie FPÖ und BZÖ in Österreich und eine zart-melancholische Liebesgeschichte zwischen einem alten Mann und einem Jüngling, teilweise eher fernsehgerecht inszeniert, dann wieder voller greller Farben, extremer Slo-Mos, einigem Kitsch wie einer Musical-Reminszenz und mit manchen recht expliziten Schockmomenten – eigentlich weiß man nie so recht, welches Kaninchen der Regisseur als nächstes aus dem Hut zaubert. Das Gute daran ist, dass einem der Film nie fad wird, gleichzeitig aber wirkt Initiation auch ein wenig sprunghaft, dilettantisch und ziemlich unausgegoren. Vor vielen Jahren nannte man so etwas wohl „Camp“, heute wirken Filme wie dieser trotz allen Gegenwartsbezugs ein wenig in die Jahre gekommen.

Peter Kern, das muss man nicht ohne Bewunderung feststellen, ist sich treu geblieben in all den Jahren. Das sich einer wie er — sperrig, nicht angepasst, exaltiert und sich einen Teufel um den guten Geschmack scherend -, immer noch Filme machen kann (wenngleich mit bescheidenen Budgets), das stimmt dann doch ein wenig hoffnungsfroh. Wie nannte ihn doch gleich die österreichische Zeitschrift Profil? Er sei, so hieß es ihn einem Artikel über ihn der „letzte freie Radikale“. Was nicht nur den Regisseur, sondern auch seinen neuesten Film ziemlich gut beschreibt. Fast unwillkürlich muss man an Filmemacher wie Rainer Werner Fassbinder denken, an den begnadeten Wiener Wilden Franz Novotny (Exit – Nur keine Panik, 1980) und den unlängst verstorbenen Christoph Schlingensief – nur dass Peter Kern den Trash und den Schund, aber auch die Zärtlichkeit und Melancholie dieser nicht gerade kleinen Vorbilder noch ein wenig weiter treibt – auf die Spitze und nicht selten darüber hinaus.

Ganz sicher ist dieser Film nichts für die große Masse der Kinogeher und selbst für manchen eingefleischten Arthouse-Fan ein mehr als anstrengendes und verwirrendes Erlebnis. Wer es aber gerne ein wenig deftiger und heftiger mag und sich zudem für einen sarkastischen Blick auf die Entwicklungen innerhalb der österreichischen Politik und der dahinter stehenden Verfassung des Landes interessiert, für den könnte dieser Film bei allen offensichtlichen Schwächen wahrlich eine echte Initiation bedeuten. Vergessen wird man als Zuschauer einen Film wie diesen auf jeden Fall nicht so schnell…

Initiation

In der ohnehin recht schillernden österreichischen Filmszene gilt Peter Kern schon seit vielen Jahr als (je nach Blickwinkel) liebens- oder hassenswertes Enfant terrible, dessen Filme stets am Rande des guten Geschmacks und in den Schattenreichen jenseits der staatlichen Filmförderung polarisierten, weil sie derb waren, theatralisch, ordinär, rüde, bis an die Grenzen des Erträglichen plakativ — und immer subversiv und unbequem.
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