In den Süden (2005)

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

La dolce vita auf Haiti

In den Süden zieht es Ende der Siebzigerjahre drei einsame, in die Jahre gekommene Nordamerikanerinnen. Sie sind voller Sehnsucht, ihr eintöniges Alltagsleben gegen eine exotisch-paradiesische Strandidylle einzutauschen, in der sie hemmungslos feurigen Liebesabenteuern und sexuellen Spielereien frönen können. In seinem grandiosen neuen Film schickt Regisseur Laurent Cantet seine drei Protagonistinnen Ellen (Charlotte Rampling), Brenda (Karen Young) und Sue (Louise Portal) in die ehemalige französische Kolonie Haiti, in die gewaltgebeutelte Hauptstadt Port-au-Prince. Doch von diesem Chaos, von kriminellen Banden und bewaffneten Überfällen ist im nahe gelegenem Ferienressort „La Petit Anse“ nichts zu spüren. Mit lässiger Grandezza liegen die Frauen unter ihren Sonnenschirmen, schlürfen Cocktails und lassen sich die Zeit in bester Gesellschaft von jungen, muskulösen, farbigen Männern versüßen. Eine vermeintlich harmonische Szenerie bis sich zwei der Frauen – Ellen und Brenda – gleichzeitig in den allseits begehrten Schönling Lekba (Ménothy Cesar) verlieben.

Der auf dem Roman La Chair du Maître von Dany Laferrière basierende vierte Spielfilm von Laurent Cantet ist ein Werk der Gegensätze. Kontrovers, die weißen Frauen mittleren Alters, die sich von jüngeren schwarzen Männern umgarnen lassen. Ebenso die trügerische Idylle, während nur wenige Kilometer weiter Mord und Totschlag herrschen. Die Kluft zwischen arm und reich, zwischen wahrer Lieber und bloßer sexueller Lust, zwischen Verlangen und Verachtung. Für ein paar Dollar nur lassen sie sich von den Männern begehren und verfallen ihnen gleichzeitig so, als wären sie der einzige Lichtblick in ihrem gar so trostlosen Leben daheim im Norden. Was nach Sex-Tourismus und Prostitution klingt, ist schon längst zu körperlicher Gier nach Wärme und Liebe geworden. „Ich bin völlig verrückt nach Liebe, nach Sex und Liebe, so genau weiß ich das nicht mehr“, sagt Ellen an einer Stelle. Für sie ist Port-au-Prince schon Routine, ein Zuhause, in dem sie bereits den sechsten Sommer verbringt. Für Brenda hingegen ist das süße Leben im Süden Neuland. Vor Jahren kam sie schon einmal mit ihrem Ehemann dort hin. Jetzt kehrt sie zurück auf der Suche nach dem Mann, der sie damals verzauberte und der sie nicht mehr loslässt: Lekba. Doch Lekba will sich da gar nicht so festlegen. Für ihn ist das Ferienparadies Ausbruch aus der harten Realität und Armut. Obwohl er nicht im vornehmen Restaurant mit den Damen speisen darf, fällt doch hin und wieder ein Sandwich für ihn ab und vor allem das Geld, das er irgendwann seiner Mutter zustecken wird. Das ist ein Luxusleben, für das er später bitter büßen muss.

Die erotische Anziehungskraft und der Kampf der Frauen um ihr gemeinsames Objekt der Begierde verschwimmen mit der zweiten Ebene des Films, der politischen. Immanent, wenn auch nur am Rande, ist die politisch heikle Situation nach dem Regime von „Baby Doc“ Duvalier und das von Gewalt und Aufruhr geprägte Klima im Land. Die eigentliche Handlung des Films, die konträren Beziehungen zwischen den Frauen und Männern kann aber auch als Metapher für typisch politische Konflikte verstanden werden: Der schwelende Nord-Süd-Konflikt, Kolonialismus, Diktatur, Gewalt und Missbrauch. Das Drama In den Süden nimmt kein gutes Ende, aber nur das einzig mögliche. Auf dem Weg dorthin brilliert Cantet mit der sukzessiven Demaskierung einer pittoresken Traumwelt und hält die Spannung bis zur letzten Minute.
 

In den Süden (2005)

In den Süden zieht es Ende der Siebzigerjahre drei einsame, in die Jahre gekommene Nordamerikanerinnen.

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Meinungen

deniz · 10.10.2006

der film is geil