Illégal

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Donnerstag, 28. Juni 2012, WDR, 23:15 Uhr

Was es bedeutet, ohne gültige Papiere in einem fremden Land zu überleben, thematisiert auf berührende Weise der Spielfilm Illégal des belgischen Filmemachers Olivier Masset-Depasse, der 2010 beim Internationalen Filmfestival von Cannes uraufgeführt wurde und dort den Prix SACD für den Besten französischsprachigen Film gewann. Die Schauspielerin Anne Coesens, die Ehefrau des Regisseurs, wurde für ihre großartige Darstellung einer Mutter, die tapfer um einen würdigen Lebensraum für sich und ihren Sohn kämpft, beim Internationalen Filmfestival von Palm Springs mit dem FIPRESCI Preis ausgezeichnet.
Als ihr Ausreiseantrag abgelehnt wird, beschließt die russische Lehrerin Tania (Anne Coesens), die Französisch unterrichtet, dennoch mit ihrem kleinen Sohn Ivan (Milo Masset-Depasse, später Alexandre Gontcharov) nach Belgien auszuwandern. Es gelingt der couragierten Mutter mit gefälschten Papieren tatsächlich, dort im Laufe der Zeit für sich und Ivan eine kleine Existenz aufzubauen – allerdings bleibt die ständige Angst vor Entdeckung, so dass Tania es vorsichtig vermeidet, außerhalb ihres bescheidenen Zuhauses, das sie mit ihrer Freundin Zina (Olga Zhdanova) aus Weißrussland teilt, ihre Muttersprache zu sprechen, und auch Ivan dazu anhält.

Ivan geht zur Schule, Tania arbeitet als Putzfrau und die beiden führen acht Jahre lang ein unauffälliges Leben, bis die befürchtete Katastrophe eintritt und Tania im Zuge einer Polizeikontrolle auffliegt. Während Ivan noch entkommen kann, wird seine Mutter verhaftet und erleidet von nun an die Repressalien der sogenannten Abschiebehaft, permanent in Sorge um ihren Sohn und sein ungewisses Schicksal. Im Gefängnis begegnet Tania auch anderen Frauen in ähnlicher Situation wie der Afrikanerin Aïssa (Esse Lawson), die brutale Misshandlungen in Kauf nimmt, um ihre Abschiebung immer wieder zu verzögern – bis sie eines Tages den Freitod wählt …

Es sind die zutiefst humanistische Grundhaltung und das Mitgefühl für die verzweifelte Situation von Flüchtlingen ohne offiziellen Status in Belgien und anderswo, die diesen gründlich recherchierten Spielfilm mit seiner offenen Kritik an den Abschottungsstrukturen der ehemaligen Kolonialmächte und ihrer diesbezüglich restriktiven Politik auszeichnen. Olivier Masset-Depasses gleichermaßen spannendes wie feinfühlig inszeniertes, bedrückendes Plädoyer für eine Fokussierung der menschlichen Tragödie hinter den Meldungen über Flüchtlinge und Abschiebung betont bewusst die subjektive Perspektive der Betroffenen.

Laut offiziellen Schätzungen leben in Deutschland etwa eine Million Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus und somit faktisch auch ohne den Schutz ihrer im Grunde unveräußerlichen Rechte, was nur allzu häufig zu gesellschaftlich weithin akzeptierter oder gar kalkulierter Ausbeutung führt. „Kein Mensch ist illegal“ lautet die Losung einer bundesweiten Initiative, die sich hierzulande für die Rechte von „papierlosen“ Personen einsetzt und Kooperationspartner in vielen europäischen Ländern hat. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund stellt Illégal einen gelungenen fiktiven Beitrag zu einem höchst brisanten, sozial-politischen Thema dar, das jenseits des Mainstreams eine brennende Aktualität in einem Europa besitzt, das nicht nur an seinen Außen-Grenzen einen zunehmend brutalen Kampf gegen unerwünschte Einwanderer führt.

Illégal

Was es bedeutet, ohne gültige Papiere in einem fremden Land zu überleben, thematisiert auf berührende Weise der Spielfilm „Illégal“ des belgischen Filmemachers Olivier Masset-Depasse, der 2010 beim Internationalen Filmfestival von Cannes uraufgeführt wurde und dort den Prix SACD für den Besten französischsprachigen Film gewann.
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