Il Palio – Das Rennen von Siena

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Hinter den Kulissen des härtesten Pferderennens der Welt

Das härteste Pferderennen der Welt findet nicht in England statt, wo man dies vielleicht vermuten würde und auch nicht in den USA, sondern ausgerechnet im beschaulichen italienischen Siena. Dort wird der zentrale Platz, der Piazza del Campo, zweimal im Jahr zum Austragungsort des Palio, der eine Institution oder vielmehr ein Heiligtum im Leben der Stadt darstellt, ein Datum, zu dem sich die Hoffnungen, Wünsche und Träume aller Sieneser bündeln. Das Rennen findet immer am 2. Juli und am 16. August jeden Jahres statt, wobei die beiden Rennen unabhängig voneinander betrachtet werden. Das Rennen ist der Jungfrau Maria gewidmet und erinnert an die weit zurückliegende Tradition Sienas als mächtiger Stadtstaat, der stramm militärisch organisiert war. Als die Macht Sienas im 16. Jahrhundert stetig abnahm, wurde das sich auflösende Heer durch die so genannten Contraden abgelöst, Stadtviertel, die für die Bereitstellung waffenfähiger Männer zu sorgen hatten. Und diese Contraden spielen auch heute noch im kollektiven Gedächtnis Sienas eine wichtige Rolle, jeder Sienese identifiziert sich in erster Linie mit seiner Contrade, was man vor allem in der Zeit vor dem nächsten Palio merkt. Und eigentlich fiebert man in Siena immer dem nächsten Palio entgegen…
Bereits die Zulassung zu den beiden Rennen ist ein äußerst kompliziertes Verfahren: Da nur zehn der siebzehn Contraden einen Starter stellen dürfen, sind automatisch jene Contraden teilnahmeberechtigt, die im Vorjahr aussetzen mussten. Die verbliebenen drei Startplätze werden unter den restlichen Stadtteilen ausgelost, so dass jedes Jahr von Neuem das Zittern um die Teilnahme beginnt. Auch die Auswahl der Pferde folgt dem Prinzip Zufall, denn die zur Verfügung stehenden Halbblüter – zwanzig an der Zahl – werden von einer Kommission ausgewählt und dann den jeweiligen Contraden zugelost. Die Fantini, die Reiter, die häufig aus Sardinien stammen, gehören ebenfalls nicht fest zu einer Contrade, sondern lassen sich vom Capitano eines Stadtviertels anheuern. Sie sind Söldner, die von ihrem jeweiligen Stadtviertel misstrauisch beäugt und – je nach Erfolg oder Misserfolg – mit Prügeln bedacht oder mit Lorbeeren bekränzt werden. Ähnlich ergeht es den Pferden selbst, die vor allem dann zum quasi anbetungswürdigen Subjekt werden, wenn sie einen Palio „scosso“, also ohne Reiter siegreich beenden. Bangen und Hoffen, Glück und Trauer, Tradition und Stolz, Sieg und Niederlage, das alles liegt im Palio. Und jeder Sienese wird Stein und Bein schwören, dass er für einen Sieg seiner Contrade sein letztes Hemd, seine Ehefrau und seine Vespa verschenken wird. Und ein Blick in seine Augen lässt kaum einen Zweifel daran, dass es ihm verdammt ernst damit ist.

Der niederländische Regisseur John Appel hat die kleinste sienesische Contrade namens Civitta, deren letzter Sieg bereits 24 Jahre zurück liegt, in der Zeit vor dem nächsten Palio begleitet. Dabei konzentriert er sich vor allem auf zwei Personen, den 92-jährigen Egidio, der noch einen Sieg seines Viertels erleben möchte, bevor er endlich beseelt sterben darf, und den 21-jährigen Paolo, der als „Barbaresco“, als Stallbursche also das Pferd pflegen darf und dies als hohe Ehre empfindet. Mit diesen beiden Protagonisten bekommt der Film ein sympathisches Gesicht und versteht es auf sehr unterhaltsame und niemals arrogante oder überhebliche Weise, die Lebensart und „Mentalität“ der Sienesen, ihre Leidenschaft und Leidensfähigkeit für ein in unseren Augen nichtiges Rennen verständlich zu machen und zugleich die historischen Hintergründe des Palio zu erklären. Und noch etwas macht der Film auf schöne Weise klar: Nach dem Rennen ist vor dem Rennen, und selbst wenn es mal schlecht läuft, ist nicht alle Hoffnung verloren. Denn der nächste Palio kommt bestimmt, nächstes Jahr. Und damit auch die Chance auf einen neuen Sieg. Fast wie im richtigen Leben…

Il Palio – Das Rennen von Siena

Das härteste Pferderennen der Welt findet nicht in England statt, wo man dies vielleicht vermuten würde und auch nicht in den USA, sondern ausgerechnet im beschaulichen italienischen Siena.
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